Das achte Opfer
trat aus seinem Mund, der Raum war jetzt erfüllt vom Geruch von Bittermandeln.
»Warum?« fragte der andere kalt, während er breitbeinig über ihm stand und ihn von oben herab ansah. »Du weißt, warum, du gottverdammter Bastard!« Er wartete zwei Minuten, bis auch das letzte Zucken vorüber war, packte den jetzt schlaffen Körper bei den Füßen und zog ihn hinter dem Schreibtisch hervor, entkleidete ihn, legte die Sachen fein säuberlich über den Schreibtischstuhl, öffnete seinen Aktenkoffer, nahm die Plastikhandschuhe und streifte sie über, holte das Skalpell heraus und trennte mit einem behenden Schnitt Penis und Hoden ab, die er dem Toten neben das Gesicht legte. Danach stach er mit dem Stilett zweimal in die Augen, die jetzt nur noch zwei leere, finstere Höhlen waren, zum Schluß machte er einen langen Schnitt von einer Halsseite zur anderen. Das Blut quoll in dicken Schwällen aus beiden Seiten des Halses, er faßte mit zwei Fingern hinein und schrieb mit Blut die Zahl 666 auf die Stirn seines Opfers. Schließlich nahm er den Waschlappen und das Handtuch, wusch den Schaum vom Mund. Er spülte die Gläser aus und wischte sie mit einem Handtuch trocken. Sonst hatte er keine Fingerabdrücke hinterlassen. Bevor er ging, legte er einen Zettel und eine Lilie neben den Toten. Er warf einen letzten, verächtlichen Blick auf den leblos Daliegenden, auf das von den Krämpfen verzerrte Gesicht mit den toten Augen, ging noch einmal zum Schreibtisch, blätterte in dem Notizbuch, fand aber keine Eintragung mit seinem Namen.
Er zog die Handschuhe aus, packte sie zusammen mit dem Waschlappen und dem Handtuch zurück in den Koffer. Er lief über den menschenleeren Gang, seine Schritte hallten durch das Treppenhaus. Selbst als er zur Tür hinaustrat, begegnete ihm kein Mensch außer einem alten Mann, der seinen Hund spazierenführte. Es war kurz vor halb neun. Er stieg in seinen Jaguar, legte »La Mer« von Debussy in den CD-Spieler, fuhr nach Hause. Er spürte, wie die Spannungallmählich von ihm abfiel, doch er fühlte sich nicht wohl. Was er tat, bereitete ihm keine Freude, aber es gab keinen anderen Weg, das Ungeziefer zu vernichten. Es hätte alles so schön sein können, so friedlich. Aber es gab Menschen, die ihm und seiner Familie diesen Frieden nicht gegönnt hatten. Und diese Menschen mußten sterben. So wie sie ihn und seine Familie hatten sterben lassen. Er hätte nie gedacht, jemals so hassen zu können, doch irgendwann war dieser Haß übermächtig geworden, vor allem, nachdem er herausgefunden hatte, wer für den Tod seiner Kinder verantwortlich war.
Um Viertel vor neun hielt er vor seinem Haus. Er stieg aus, es hatte aufgehört zu regnen.
Die Luft war kühl und gut zu atmen, und er blieb noch einen Augenblick draußen stehen. Er warf einen Blick über Frankfurt, sah die mächtigen Banktürme hoch in den nachtblauen Himmel ragen. Er seufzte auf, drehte sich um, ging ins Haus. Seine Frau saß noch immer wie eine Mumie vor dem Kamin, Anna strickte.
»Alles in Ordnung?« fragte er.
»Ja, ich denke schon. Brauchen Sie mich noch?«
»Danke, Anna, aber Sie können zu Bett gehen. Ich werde mich jetzt um meine Frau kümmern. Ich möchte einfach noch einen Moment allein mit ihr sein.«
»Sicher. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Er kniete sich wie so oft vor seine Frau, nahm ihre kalten Hände zwischen seine, rieb sie. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie ihn an, und es schien, als lächelte sie, doch es war nur ein Wimpernschlag, nicht länger.
»Schatz«, sagte er leise, »es sind jetzt schon zwei weniger, die Böses tun können. Und ich werde nicht ruhen, bis auch der letzte von ihnen seine gerechte Strafe bekommen hat.Ich tue es für unsere Kinder, für dich und für mich. Ich liebe dich, und es wird nie anders sein.«
»Ich liebe dich«, flüsterte sie kaum hörbar.
Er vergrub seinen Kopf in ihrem Schoß. Er weinte.
Mittwoch, 21.00 Uhr
Julia Durant hatte sich ein Bad einlaufen lassen, eine Dose Bier stand auf dem Wannenrand. Der Fernseher lief bei abgeschaltetem Ton, sie hatte die Nordischen Klänge von Grieg in den CD-Spieler gelegt. Ihre Art, die angespannten Nerven zu beruhigen. Sie warf einen Blick durch die Wohnung, fand, es wurde wieder mal Zeit, gründlich aufzuräumen, auch die Fenster mußten dringend geputzt werden. Sie zog sich aus, nahm das Telefon mit ins Bad. Sie wollte abschalten, doch es gelang ihr nicht. Immer und immer wieder tauchten vor ihrem inneren Auge die Bilder des
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