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Das achte Opfer

Das achte Opfer

Titel: Das achte Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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vorhin für Sie abgegeben worden.« Er reichte Julia Durant einen Umschlag, der noch versiegelt war. Sie riß ihn auf, holte das Blatt Papier heraus, las:
Die Erde ist entweiht durch ihre Bewohner, denn sie haben die Weisungen übertreten, die Gesetze verletzt . . . In meines Vaters Haus gibt es viele Wohnungen . . .
Sie schluckte, sah Kullmer an. »Wann kam das?«
    »Weiß nicht genau, vor einer halben Stunde etwa.«
    »Wieder per Boten?«
    Kullmer zuckte mit den Schultern. »Schätze, ja. Ist auf jeden Fall wieder beim Pförtner abgegeben worden. Darf ich auch mal lesen?«
    Kommissarin Durant reichte ihm wortlos den Zettel. Kullmer las und gab ihr das Papier zurück.
    »Was soll das bedeuten?«
    »Woher soll ich das wissen?« erwiderte sie resigniert. »Ich weiß nur soviel – es wird bald einen weiteren Mord geben. Der das geschrieben hat, spaßt nicht. Im Gegenteil, für ihn ist es wahrhaft blutiger Ernst. Und wir haben keinen, aber auch nicht den geringsten Anhaltspunkt.«
    Hellmer hatte sich zu ihnen gestellt, las ebenfalls. Julia Durant sagte, bevor sie in ihren Corsa stieg: »Bleibt heute abend in Bereitschaft. Seid jederzeit erreichbar. Ich fürchte nämlich, daß unser Racheengel bald wieder zuschlägt. Bis dann.« Sie schlug die Tür zu, startete den Motor und verließ das Polizeigelände. Es begann, in Strömen zu regnen, der Verkehr kam nur stockend voran. Sie stellte das Radio an, dann, als die in den verschiedenen Sendern gespielte Musik ihr nicht zusagte, legte sie eine Kassette mit Bon Jovi ein. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis, immer schneller und immer schneller, sie versuchte, sich abzulenken, es gelang ihr nicht. Sie fühlte, der Mörder war wieder unterwegs, zu seinem nächsten Opfer, das mit Sicherheit nicht ahnte, daß es nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Und nur der Täter wußte, wer sein Opfer sein würde.

Mittwoch, 19.15 Uhr
     
    Seine Frau saß wie so oft im Sessel vor dem Kamin und starrte irgendwohin. Wohin, das wußte wohl nur sie. Er war vor etwas über einer Stunde aus dem Büro gekommen, hatte ein kurzes Telefonat geführt, geduscht, sich frische Sachen angezogen, einen Cognac getrunken. Er war nocheinmal in Patricks und in Carlas Zimmer gewesen, hatte sich umgeschaut, ein paar Dinge vorsichtig und zärtlich berührt. Er ging zu seiner Frau, kniete sich vor sie, legte seinen Kopf in ihren Schoß, doch sie zeigte keine Reaktion. Es war, als würde er Trost bei einer Toten suchen. Ihre Hände waren kalt, ihr Gesicht eine undurchdringliche Maske. Die Ärzte hatten damals gesagt, diese Form katatonischer Starre rühre von dem Schock her, den der Verlust der Kinder bei ihr ausgelöst hatte. Erst waren es schwere Depressionen, dann folgten zwei Selbstmordversuche, schließlich eine Art von Katatonie. Und keiner konnte sagen, ob und wann dieser Zustand aufhörte.
    »Schatz«, sagte er leise, »ich muß noch einmal weg, etwas erledigen. Es wird aber nicht lange dauern, ich denke, ich werde so gegen halb neun, neun, zurück sein.« Er wußte, sie hörte ihn, doch ihre Seele hatte eine Blockade aufgebaut, die verhinderte, daß das Gehörte auch in eine Reaktion umgesetzt wurde. Statt dessen hörte sie nur. Nach einigen Minuten erhob er sich, rief nach Anna, dem Hausmädchen, die kurz darauf die Treppe herunterkam.
    »Anna«, sagte er, »ich werde etwa eine oder anderthalb Stunden weg sein. Wenn Sie sich bitte in der Zeit um meine Frau kümmern würden.«
    »Natürlich. Sie können sich auf mich verlassen.«
    »Das weiß ich«, sagte er mit dankbarem Lächeln, nahm seinen Aktenkoffer, zog das Sakko über und verließ das Haus. Er stieg in seinen Jaguar, fuhr durch das hohe, schmiedeeiserne Tor Richtung Innenstadt. Er hatte eine Verabredung. Unter vier Augen. Eine wichtige Verabredung. Er hatte vorhin noch einmal alles überprüft, das Stilett, das Skalpell, die Pistole, die Handschuhe, den Waschlappen und das Handtuch. Es war alles in seinem Koffer, versteckt unter ein paar Akten. Nur das Zyankalipulverhatte er in seiner rechten Sakkotasche. Er brauchte eine Viertelstunde bis zu seinem Ziel. Er parkte den Wagen eine Straße weiter, zwischen einem bulligen Mercedes und einem Porsche. Hier fiel der Wagen nicht auf. Er stieg aus, schloß ab und ging etwa zweihundert Meter, bis er an dem dreistöckigen Haus anlangte. Er öffnete einfach die Tür, stieg die Marmorstufen hinauf in den ersten Stock, durchschritt die breite Glastür, wandte sich nach links, durchquerte den gesamten Flur, vorbei

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