Das achte Opfer
es?«
»Komisch, wenn ich’s genau bedenke, hat es bei Matthäusgenauso gerochen, vielleicht nicht ganz so intensiv. Irgendwie nach . . . Bittermandeln? Und sein Gesicht ist genauso verzerrt wie das von Matthäus war. Mal sehen, was unser Arzt dazu zu sagen hat. Und vor allem würde ich gern wissen, wie lange er schon tot ist.«
Der Arzt traf ein, noch während die Kommissarin in gebückter Haltung vor Neuhaus stand. Er stellte seine Tasche auf den Boden, zog die Gummihandschuhe über, befühlte den Leichnam.
»Tja«, sagte er, »es scheint, als ob der hier schon seit mehreren Stunden nicht mehr lebt. Außerdem riecht es nach Bittermandeln, was den Schluß zuläßt, daß ihm aller Wahrscheinlichkeit nach Zyankali verabreicht worden ist, bevor ihm die äußeren Verletzungen zugefügt wurden.« Er holte das Thermometer aus seiner Tasche, maß die Temperatur von Neuhaus rektal. Nach zwei Minuten sagte er: »Sechsundzwanzig fünf.« Er drehte den Leichnam auf den Bauch, der Tote rülpste, der Geruch nach Bittermandeln intensivierte sich. Er begutachtete den Rücken, drückte auf ein paar Stellen, nickte und brachte den Toten wieder in Rückenlage. »Die Leichenstarre ist vollständig ausgebildet, ebenso die Leichenflecken, die nicht mehr wegdrückbar sind. Bei der derzeitigen Temperatur hier im Raum würde ich sagen, daß über den Daumen gepeilt der Tod vor etwa zehn bis vierzehn Stunden eingetreten ist. Vorausgesetzt, wir halten uns an die Methode nach Henske, nach der die Körpertemperatur bei den derzeit herrschenden Verhältnissen um zirka ein Grad pro Stunde sinkt. Aber Genaues kann erst nach einer eingehenden Autopsie gesagt werden.«
Julia Durant blickte zur Uhr. An Hellmer und Kullmer gewandt, meinte sie: »Ich muß mich jetzt leider auf den Weg ins Gericht machen. Wir sehen uns nachher im Präsidium. Wer überbringt die Nachricht?«
»Ich«, sagte Hellmer schnell, worauf Julia Durant sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen konnte.
»Einverstanden. Und Sie, Kommissar Kullmer, bleiben hier und befragen die Leute. Bis später. Und drücken Sie mir die Daumen, daß ich mit einigermaßen heiler Haut aus der Anhörung rauskomme.« Sie nahm ihre Tasche und verließ das Haus. Bis zum Gericht brauchte sie zehn Minuten, ihr Auftritt als Zeugin würde in etwa einer halben Stunde sein. Sie haßte Gerichtstermine, vor allem wenn sie an den Anwalt dachte, der sicher wieder einmal äußerst unangenehme Fragen stellen würde. Unterwegs rauchte sie eine Zigarette, dachte an Hellmer und wie er es wohl Nadine Neuhaus, seiner ehemals großen Liebe, beibringen würde.
Donnerstag, 9.55 Uhr
Kommissar Hellmer hatte zusammen mit Kullmer einige der Angestellten von Immobilien Neuhaus befragt, aber keine besonderen Erkenntnisse über die Lebensgewohnheiten des Ermordeten gewonnen. Er wurde als zuverlässiger und vertrauenswürdiger Chef beschrieben, als loyal und kulant seinen Mitarbeitern gegenüber, im Prinzip war es eine einzige Laudatio auf Neuhaus. Hellmer telefonierte mit Berger und bat darum, ein paar Männer vorbeizuschicken, um einige Akten und Unterlagen aus dem Büro durchzusehen und so vielleicht einen Anhaltspunkt zu finden, der auf die Spur des Mörders führte. Nach dem Telefonat verabschiedete er sich von Kullmer, der die Befragungen allein fortsetzte, und fuhr zu Nadine Neuhaus. Er hatte ein seltsames Gefühl im Magen, wenn er daran dachte, der Frau, die er über alles liebte, die Nachricht vom Tod ihresMannes zu überbringen. Er wußte nicht, ob er sich freuen sollte, ob dadurch vielleicht wieder Hoffnung für ihn bestand oder ob sie doch weiterhin getrennte Wege gehen würden. Einmal mehr fragte er sich, was es mit diesen Schreiben und der Zahl auf der Stirn auf sich hatte, was den Mörder bewog, ein derart grausames Ritual zu vollziehen.
Um Viertel nach zehn hielt er vor der Villa von Neuhaus. Die seit dem frühen Morgen über der Stadt hängende Wolkendecke begann an einigen Stellen aufzureißen, womit unter Umständen der Wetterbericht doch recht hatte, wenn er Temperaturen von über zwanzig Grad im Rhein-Main-Gebiet prophezeite.
Er wartete noch einen Moment, bevor er ausstieg, und rauchte eine Zigarette. Er wollte sich die Worte zurechtlegen, die er Nadine sagen konnte. Ihm fielen keine ein.
Er stieg aus, überquerte die Straße, hielt vor dem Tor mit den Initialen M. N., drückte auf den Klingelknopf. Auch hier eine Überwachungskamera und wahrscheinlich versteckt zwischen den Büschen
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