Das achte Opfer
er ging. Manchmal bleibt er über Nacht weg, manchmal auch ein paar Tage. Vorher war das anders. Weshalb willst du das wissen?«
»Ihr hattet euch doch gar nicht lange gekannt, bevor ihr . . .«
»Ein halbes Jahr.«
»Du hast dich sehr schnell zu einer Heirat mit Neuhaus entschlossen, sehr schnell sogar.«
»Du kennst nicht die Geschichte dahinter«, sagte sie mit wieder bitterer Stimme. Sie veränderte ihre Haltung, nahm ihr Glas, trank einen Schluck. »Möchtest du auch was trinken?«
»Das gleiche wie du. Von was für einer Geschichte sprichst du?« fragte er, während sie an das Barfach ging, ein Glas herausholte und Orangensaft einschenkte. Sie kam zurück, reichte Hellmer das Glas.
»Willst du sie wirklich wissen? Ich glaube, auch das wäre nicht gut. Und jetzt sag mir bitte, weshalb du hier bist.«
Hellmer nippte an seinem Getränk, drehte das Glas zwischen den Händen. »Kannst du mir ungefähr die Uhrzeit nennen, wann er das Haus verlassen hat?«
»Gegen sechs, kurz davor oder kurz danach, ich weiß es nicht genau. Er ging, als ich meine Wunden versorgte. Und ich habe ihn seitdem nicht mehr zu Gesicht bekommen, obgleich er mir fast drohte, spätestens um zehn zurück zu sein.«
»Hat er irgend etwas erwähnt davon, daß er ins Büro fahren wollte?«
»Ich sagte doch schon, er hat nie gesagt, wohin er ging. Ob ins Büro oder zu einer seiner Geliebten oder weiß der Teufel, wohin. Ich war jedenfalls immer heidenfroh, wenn er
nicht
da war.«
»Okay«, sagte Hellmer und nahm einen weiteren Schluck. »Nadine, ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, daß dein Mann einem Kapitalverbrechen zum Opfer gefallen ist. Vermutlich schon gestern abend.«
»Einem Kapitalverbrechen?« fragte sie, und für einen Augenblick meinte Hellmer, so etwas wie ein Lächeln über ihre Lippen huschen zu sehen. »Wie und wo?«
»In seinem Büro. Das Wie willst du auch wissen?«
»Jedes Detail.«
»Also gut. Der Mörder hat ihm vermutlich Zyankali in einen Drink gemischt, dann hat er ihm die Kehle durchgeschnitten, die Geschlechtsteile entfernt und neben sein Gesicht gelegt und schließlich mit Blut die Zahl 666 auf die Stirn geschrieben.«
Nadine Neuhaus zeigte kaum eine Reaktion. Sie fragte nur: »Dreimal die Sechs? Was ist das?«
»Die Zahl des Teufels. Dein Mann ist auf genau die gleiche Weise umgebracht worden wie Doktor Matthäus.«
»Was heißt das, die Zahl des Teufels?«
»Ich habe mich auch erst schlau machen müssen, aber zum Glück kommt meine Kollegin Durant aus einer Priesterfamilie, und sie sagt, daß dies die Zahl ist, die diejenigen auf die Stirn geschrieben bekommen, die dem Teufel nachfolgen. Mehr kann ich auch nicht sagen.«
»Soll das heißen, daß Manfred dem Teufel nachgefolgt ist?« fragte Nadine Neuhaus zweifelnd.
»Ich weiß nicht, warum der Mörder das macht und was deinMann verbrochen hat, ich weiß nur, dein Mann ist tot, und wir haben jetzt innerhalb von zwei Tagen zwei Leichen aus der High-Society von Frankfurt – einen Bankier und den größten und einflußreichsten Immobilienmakler der Region.« Kommissar Hellmer hielt inne, fuhr sich mit einer Hand über die Stirn, fragte dann: »Was weißt du über die Geschäfte deines Mannes?«
Sie lachte kurz auf. »Was ich von seinen Geschäften weiß? Ich weiß oder besser gesagt wußte weder von seinen Geschäften etwas noch von dem, was er war oder vorgab zu sein. Ich habe einen Mann geheiratet, den ich nie kennengelernt habe.«
»Warum hast du ihn dann geheiratet? Erklär es mir bitte, damit ich endlich einmal weiß, warum du mit mir nichts mehr zu tun haben wolltest.«
Sie antwortete nicht gleich darauf, nahm den letzten Schluck von ihrem Saft, lehnte sich zurück, blickte an die Decke, atmete tief ein und stieß die Luft hörbar aus. Ihre Hände verkrampften sich ineinander, bis die Knöchel weiß hervortraten.
»Ich habe ihn zufällig kennengelernt, bei einem ganz trivialen Opernbesuch. Er war aufmerksam, galant, charmant, unaufdringlich, na ja, er besaß zumindest anfangs all jene Eigenschaften, die eine Frau an einem Mann schätzt. Nach einem Vierteljahr fragte er mich, ob ich ihn heiraten wolle, und ich sagte nein. Nach diesem Nein folgte die erste Ohrfeige, und mit ihr lernte ich den wahren Manfred Neuhaus kennen. Er drohte mir ganz unverhohlen, mich umzubringen, wenn ich ihn nicht heiratete. Er sagte, es gebe keinen Fleck auf dieser Welt, wo er mich nicht finden würde, sollte ich versuchen abzuhauen. Und er hat gedroht, auch meinen
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