Das achte Opfer
Bewegungsmelder. Es dauerte eine Weile, bis eine Stimme aus dem Lautsprecher kam.
»Ja, bitte?«
»Hier ist Kommissar Hellmer von der Kriminalpolizei. Ich möchte bitte mit Frau Neuhaus sprechen.«
»Einen Moment.«
Es verstrich wieder ein Augenblick, bis der Türsummer erklang und das Tor sich automatisch öffnete. Hellmer ging etwa zwanzig Meter bis zum Haus, dessen Vorderfront mehr aus Glas denn aus Stein bestand und das sich in seiner fast futuristischen Gestaltung recht deutlich von den anderen Villen und Häusern in dieser Gegend unterschied. In der Tür stand eine etwa vierzigjährige, eher unscheinbare Frau, die Hellmer kritisch aus graublauen Augen musterte. Sie war mittelgroß, hatte das dunkelblonde Haar strengnach hinten gekämmt, trug ein dunkelblaues Kleid. Kommissar Hellmer hielt ihr den Dienstausweis vors Gesicht, sie nickte.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, sagte die Frau und ging vor Hellmer ins Haus. Sie betraten den geräumigen, hellen Flur, an dessen Wänden entweder echte oder gut kopierte Bilder von Monet und van Gogh hingen. An der vorletzten Tür hielten sie, die Frau klopfte, ein leises »Herein«.
»Wenn Sie mich jetzt bitte mit Frau Neuhaus allein lassen würden«, sagte Hellmer und öffnete die Tür. Nadine Neuhaus saß auf einer weißen, viersitzigen Couch, die Beine hochgelegt, eine Zeitung in der Hand, ein Glas Orangensaft vor sich auf dem Tisch. Sie trug ein sonnengelbes Kleid mit halblangen Ärmeln und um den Hals einen dezent blauen Seidenschal. Der Raum, in dem sie sich befanden, hatte in etwa die Ausmaße des Wohnzimmers von Dr. Matthäus, er war hell und modern eingerichtet und nicht überladen, am hinteren Ende führten zwei Stufen in einen zweiten Teil des Raumes, an dessen Ende sich ein Kamin befand. Die Sonne fiel jetzt in breiten Bahnen durch die hohen Fenster, feine Staubpartikel bewegten sich sanft in der Luft. Nadine Neuhaus sah auf, ohne aufzustehen. Kommissar Hellmer konnte ihren Blick nicht sehen, da ihre Augen hinter einer großen, dunklen Sonnenbrille verborgen waren.
»Hallo«, sagte er und trat näher.
»Hallo«, erwiderte sie mit kühler Stimme. »Was willst du hier? Ich glaube kaum, daß es gut für dich, vor allem aber für mich ist, wenn du hierher kommst. Wir hätten uns gestern nicht treffen sollen, dann wäre alles einfacher.«
»Darf ich mich setzen?« fragte Hellmer.
»Bitte, aber nur kurz. Manchmal kommt mein Mann einfach mal so zwischendurch nach Hause. Ich will nicht, daß er dich hier antrifft.«
Hellmer setzte sich in den weißen Ledersessel, Nadine direkt gegenüber. Er saß leicht vornübergebeugt, die Ellbogen auf den Oberschenkeln, die Hände aneinandergelegt, die Fingerspitzen berührten den Mund. Für Sekundenbruchteile blickte er Nadine an, schließlich fragte er: »Warum trägst du eine Sonnenbrille?«
»Einfach so. Ich bin lichtempfindlich.«
»Kein Mensch trägt in der Wohnung eine Sonnenbrille. Also, was ist passiert? Ist es wegen gestern?«
Sie antwortete nicht, kniff nur die Lippen zusammen und sah zu Boden.
»Hat er dich geschlagen?«
»Und wenn?«
»Ich will es nur wissen. Du weißt, ich kann Männer, die Frauen schlagen, auf den Tod nicht ausstehen. Es gibt für mich keinen Grund, Frauen oder Kinder zu schlagen. Du kennst meine Einstellung dazu. Nimm bitte deine Sonnenbrille ab.«
»Warum?« fragte sie seufzend. »Warum willst du mich so sehen?«
»Tu mir den Gefallen, bitte.«
Sie zögerte kurz, dann nahm sie die Brille ab. »Zufrieden?« fragte sie zynisch. Ihr rechtes Auge war blutunterlaufen und dick geschwollen, um das linke Auge herum begann sich ein sogenanntes Brillenhämatom zu bilden.
»Ist unter dem Schal noch mehr zu sehen?« fragte Hellmer, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen.
»Es ist noch mehr zu sehen, aber ich werde es dir nicht zeigen. Ich muß allein damit fertig werden. Und jetzt möchte ich dich bitten, zu gehen und nicht mehr wiederzukommen.«
Kommissar Hellmer runzelte die Stirn, sah Nadine direkt an. »Tut mir leid, ich kann noch nicht gehen, denn ich binnicht privat hier, obgleich mir das lieber wäre. Ich bin dienstlich gekommen.«
»Dienstlich? Wieso das? Etwa noch mal wegen Matthäus? Ich …«
»Wann hast du deinen Mann das letzte Mal gesehen?« fragte Hellmer ernst.
Sie lachte bitter auf. »Gestern, am späten Nachmittag, nachdem er mir das hier verpaßt hat. Danach ist er gegangen, aber frag mich um Himmels willen nicht, wohin. Er hat mir seit unserer Heirat nie gesagt, wohin
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