Das achte Opfer
Roggenmischbrot, einen Liter Milch, Salami und ein Stück Butter. Als sie an der Kasse stand, fiel ihr ein, daß sie kein Bier mehr hatte; sie rannte zum Regal, holte schnell sechs Dosen, legte ihre Sachen auf das Band. Sie bezahlte, verstaute ihren Einkauf in der Plastiktüte und fuhr nach Hause. Es war noch immer zweiundzwanzig Grad warm, die Luft schwül und durch die Abgase schwer zu atmen. Auf der Heimfahrt beschloß sie, denAbend geruhsam angehen zu lassen. Sie parkte ihren Wagen auf dem von ihr gemieteten Parkplatz, stieg aus. Sie ging zum Briefkasten, zwei Rechnungen, eine Zeitung und ein Brief ohne Absender. Sie stieg die Treppen nach oben, schloß die Tür auf und kickte sie mit dem Absatz zu. Der Teppich unter dem Wohnzimmertisch hatte sich durch die hohe Luftfeuchtigkeit gewellt, sie stellte die Einkaufstasche in der Küche ab, zog die Schuhe aus, warf einen Blick durch die Wohnung.
»Wird wohl nichts mit einem ruhigen Abend«, murmelte sie vor sich hin, als sie die Unordnung betrachtete. Wäsche auf dem Sofa und dem Sessel, die kleine Küche und das Schlafzimmer unaufgeräumt. Sie öffnete sämtliche Fenster, um frische Abendluft hereinzulassen. Sie setzte sich, sah erst die beiden Rechnungen von den Mainkraftwerken und der Telekom durch, legte sie auf den Tisch, danach riß sie den Umschlag des bis jetzt noch anonymen, mit Maschine geschriebenen Briefes auf. Sie las:
Liebe Kommissarin Durant,
Sie werden sich wahrscheinlich wundern, daß ich ausgerechnet Ihnen die Briefe und die Blumen zukommen ließ. Das hat einen ganz einfachen Grund – ich halte Sie für eine der fähigsten Beamtinnen in Ihrer Abteilung, und ich bin genauestens über Ihre Leistungen und Erfolge informiert. Wenn überhaupt jemand diesen Fall zu lösen vermag, dann Sie. Doch leider werden Sie noch einige schwierige Aufgaben zu bewältigen haben, allerdings bin ich sicher, daß Sie nach der letzten Aufgabe den Fall gelöst haben werden.
Ich möchte Ihnen nur sagen, wie sehr ich Sie und Ihre Arbeit schätze und bewundere. Es wäre ein leichtesfür mich, Ihnen Informationen über Matthäus und Neuhaus zukommen zu lassen, doch damit wäre das eigentliche Problem nicht aus der Welt geschafft. Leider hat die Polizei nicht die Mittel und Wege, den Unrat, der diese Stadt und dieses Land seit einiger Zeit überzieht, zu beseitigen. Auch ich kann nur einen geringen Teil davon verschwinden lassen.
Es tut mir leid, wenn ich Ihnen und Ihren Kollegen Kopfzerbrechen bereite, doch was jetzt geschieht, ist ein Exempel, das statuiert werden muß. Sie mögen mich für verrückt halten, und glauben Sie mir, bisweilen habe ich das Gefühl, verrückt zu sein. Aber wer von uns ist nicht auf die eine oder andere Weise verrückt?
Mein Schreiben von heute vormittag haben Sie sicherlich erhalten und werden sich fragen, was es damit auf sich hat. Ich denke, Sie werden es bald herausfinden.
Eines kann ich Ihnen jedoch schon jetzt sagen – Sie werden morgen früh ein weiteres Opfer vorfinden, doch wo, das kann ich Ihnen leider noch nicht verraten. Verraten kann ich Ihnen aber, daß die Person zwischen 21.00 und 21.30 Uhr den letzten Atemzug machen wird. Ich wünsche Ihnen trotzdem eine angenehme Nacht. Ich bin sicher, wir werden uns in nicht allzu ferner Zeit sehen.
Ihr Abfallbeseitiger
PS: Ich weiß, Sie haben die Frauen von Matthäus und Neuhaus befragt, doch Sie können sich die Mühe sparen, sie wissen nichts von dem, was ihre Männer getrieben haben. Keiner, außer ein paar Eingeweihten, weiß davon.
Sie las den Brief ein zweites und ein drittes Mal. Trotz der drückenden Schwüle in der Wohnung war ihr kalt. Sie versuchte Ihre Gedanken zu ordnen. Woher kannte der Schreiber ihre Adresse? Was wußte er alles über sie? Und woher? Sie schloß die Augen, ließ sich zurückfallen, legte die Beine auf den Tisch, den Brief in den Händen. Nach einer Weile, in der ihre Gedanken sich nicht geordnet hatten, erhob sie sich, holte eine Dose Bier, trank in kleinen Schlucken. Sie griff zum Telefon, wählte Hellmers Nummer. Sie ließ es fünfmal läuten, wollte schon auflegen, als der Hörer abgenommen wurde.
»Ja?«
»Hier ist Julia. Paß auf, es ist etwas ganz Merkwürdiges passiert. Ich habe einen Brief bekommen, rate mal, von wem?«
»Keine Ahnung. Sag’s mir.«
»Von unserem Killer. Ich lese dir vor, was er geschrieben hat.«
»Woher hat er deine Adresse?«
»Das frage ich mich auch. Er scheint mich ganz gut zu kennen. Aber laß mich erst mal
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