Das achte Opfer
lesen.«
Sie las Hellmer den Brief vor, danach herrschte für einige Sekunden Stille.
»Puh, das ist hart. Er will oder wird also heute abend wieder zuschlagen. Und morgen wird man das Opfer finden. Wie war der Wortlaut des Zettels noch mal, den er dir heute vormittag geschickt hat?«
»Warte, einen Moment, hier, ich hab’s.
Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte. Wer einen von diesen Kleinen . . . zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde.
«
»Scheiße, das macht wirklich keinen Sinn«, sagte Hellmer.
»Du sagst es. Wir haben jetzt genau Viertel nach acht. Das heißt, das auserwählte Opfer hat noch etwas über eine Stunde zu leben. Dann ist Feierabend.«
»Das wäre dann der dritte Mord innerhalb von drei Tagen. Und vermutlich wieder ein Prominenter. Das klingt gar nicht gut.«
»Nein, das tut es nicht. Und wir von der Polizei sind für die Presse einmal mehr ein gefundenes Fressen.«
»Ich scheiß auf die Presse! Viel wichtiger ist doch, was hier vor sich geht. Was haben diese Leute verbrochen, daß sie nach Ansicht des Täters nicht länger verdient haben zu leben?«
»Eine Antwort darauf werden wir wohl so bald nicht finden. Ich wollte dich auch nur informieren, damit du für morgen früh gerüstet bist. Ich werde gleich noch bei Berger und Kullmer anrufen und sie vorbereiten. Bis morgen.«
»Bis morgen.«
»Und dabei wollte ich heute abend einfach nur entspannen. Ich habe mir wohl doch den falschen Beruf ausgesucht.«
Sie legte auf, informierte kurz darauf Berger und Kullmer. Berger schien kaum zur Kenntnis zu nehmen, was Julia Durant ihm vorlas, während Kullmer bei der Unterschrift laut auflachte. Sie trank die Dose Bier aus, stellte sie auf den Tisch, erhob sich und machte sich in der Küche eine Scheibe Brot mit Salami und zwei sauren Gurken. Sie schaltete den Fernseher ein und blieb bei VIVA hängen, wo die aktuellen Musikvideos gezeigt wurden. Nachdem sie die dritte Dose Bier geleert hatte, ging sie ins Bad, duschte kurz, schminkte sich ab und ging, nur mit einem Slip und einem Trägershirt bekleidet, ins Schlafzimmer. Sie ließ sich auf das Bett fallen, zog die Bettdecke bis zur Brust, drehte sich auf die rechte Seite. Sie lag lange wach, das letzte Mal, daß sie zur Uhr blickte, war kurz nach Mitternacht. Dann endlich holte der Schlaf sie ein.
Donnerstag, 21.00 Uhr
Er hielt mit seinem Jaguar etwa hundert Meter von dem Bungalow entfernt, der sich hinter mannshohen Hekken und zwei Ahornbäumen und drei Birken versteckte. Er wußte, daß der Mann, den er besuchte, allein zu Hause war. Sie hatten am Nachmittag kurz miteinander telefoniert und diesen Termin für neun Uhr abends ausgemacht. Er hatte seinen Aktenkoffer dabei, in dem sich alle notwendigen Utensilien befanden. Er begab sich zum Tor, das zu seinem Erstaunen offenstand. Er trat hindurch und ging den Steinweg zur Eingangstür, die verschlossen war. Er betätigte den Türklopfer, wartete, doch niemand öffnete. Er ging um das Haus herum, atmete erleichtert auf, als er den Hausherrn auf der Terrasse sitzen sah. »Sag mal, läßt du dein Tor immer offenstehen?« fragte er, worauf sein Gegenüber aufblickte, grinste und antwortete: »Nur, wenn ich Besuch erwarte und mich nicht im Haus aufhalte. Aber setz dich doch erst mal. Du entschuldigst hoffentlich meinen Aufzug, aber abends laufe ich lieber leger herum.«
»Von mir aus kannst du nackt rumlaufen, es sieht dich ja keiner«, erwiderte der andere lakonisch.
»Stimmt. Was zu trinken?«
»Ich habe etwas mitgebracht, einen ganz edlen Tropfen. Und da ich weiß, daß du nur auf das Beste vom Besten stehst – Malt Whisky . . .«
»Malt Whisky!« sagte er und schnalzte anerkennend. »Warte, ich hol uns zwei Gläser.« Er stand auf, verschwand durch die Terrassentür und kehrte mit den Gläsern zurück. Er stellte beide auf den Tisch und erkundigte sich, während der Besucher seinen Aktenkoffer aufschnappen ließ und die Flasche herausholte: »Jetzt sag doch malgenau, weshalb du hier bist? Geht es noch um die Gelder?«
»Nein.« Der Besucher schüttelte den Kopf, schraubte den Verschluß von der Flasche und schenkte beide Gläser halbvoll. »Es ist ein Routinebesuch, die Organisation, wenn du verstehst. Sie machen sich natürlich Gedanken wegen der beiden Exekutionen. Ich wurde
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