Das achte Opfer
aus?«
»Im Gegenteil, wann bekomme ich dich schon mal zu Gesicht. Eigentlich doch nur, wenn du etwas auf dem Herzenhast. Was du um Himmels willen nicht falsch verstehen sollst. Du bist immer willkommen.«
»Danke, ich mache mich gleich auf den Weg. Bis nachher.«
Samstag, 14.30 Uhr
Er hatte ab dem Mittag mit seiner Frau im Garten gesessen und die wärmende Sonne genossen. Seine Frau fühlte sich heute etwas besser, das spürte er, sie antwortete einige Male auf seine Fragen oder Bemerkungen, ihre Augen schienen in manchen Momenten für Sekunden den Glanz alter Tage wiederzubekommen. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung, daß eines Tages ihr Lebensmut und Lebenswille wieder aufkeimte und sie zu der Frau wurde, die sie einst gewesen war, in die er sich vor Jahren verliebt und die er nie aufgehört hatte zu lieben. Sie hatten zusammen auf der Terrasse gefrühstückt und auch das Mittagessen eingenommen, am Nachmittag schlug er vor, einen Spaziergang im Taunus zu machen. Es war eine lange Zeit vergangen, seit sie das letzte Mal etwas gemeinsam unternommen hatten. Sie fuhren zum Feldberg, hier war die Luft klar und sauber, Frankfurt dagegen lag unter einer Dunstwolke. Hand in Hand liefen sie fast eine Stunde durch den Wald, die meiste Zeit über schweigend, ihre Hand fühlte sich kalt und schlaff an. Als sie wieder ins Tal zurückkehrten, sagte sie leise: »Es war schön dort oben. Wir waren einige Male mit Carla und Patrick auf dem Feldberg. Was sie wohl jetzt machen?«
»Was meinst du?«
»Ob es ihnen gutgeht, dort, wo sie jetzt sind. Ich würde sie so gern wiedersehen.«
»Es geht ihnen gut, wo immer sie auch sein mögen.«
»Ja, es geht ihnen gut. Und irgendwann werden wir wieder zusammensein. Wir werden alle wieder zusammensein.«
Den Rest der Fahrt schwiegen sie. Zu Hause begab er sich in sein Büro, schloß die Tür hinter sich und führte einige Telefonate. Der Sonntag würde noch einmal ein Ruhetag werden, der Tag des Herrn. Er zog die unterste Schublade seines Schreibtischs auf, holte fünf Zettel heraus. Einen davon steckte er in einen Umschlag und schrieb den Namen Julia Durant darauf. Danach packte er alles wieder zurück in die Schublade und ging ins Wohnzimmer, wo seine Frau in ihrem Sessel vor dem Kamin saß. Sie blickte ihn kurz an, ein undefinierbares Lächeln überzog ihre Lippen. Er liebte diese Lippen, ihre Stimme, wenn sie sprach, ihr Lachen, das er so lange nicht gehört hatte. Er liebte sie, und keiner würde je so lieben können wie er. Er holte sich einen Cognac, setzte sich zu ihr. Es war später Nachmittag, und das Sonnenlicht fiel durch das breite und hohe Wohnzimmerfenster auf die hellen Möbel und einen Teil ihres immer noch wunderschönen Gesichts. Ja, er liebte sie, doch er wußte, daß diese Liebe nie wieder so erwidert werden würde wie in den vielen Jahren zuvor. Er trank den Cognac aus, schenkte sich erneut ein, wartete, bis die Wirkung des Alkohols eintrat. Er fühlte sich allein.
Samstag, 18.10 Uhr
Julia Durant traf in dem kleinen Ort in der Nähe von München ein, ihre Fahrt hatte nur knapp dreieinhalb Stunden gedauert, die Autobahn schien in manchen Bereichen wie leergefegt. Sie wurde bereits von ihrem Vater erwartet, der sie umarmte und ins Haus geleitete. Er hatteden Abendbrottisch auf der kleinen, schmucken Terrasse gedeckt, die jetzt im Schatten lag.
»Es ist schön, daß du gekommen bist«, sagte er. »Auch wenn ich mir vorstellen kann, daß du diese Strapazen nicht umsonst auf dich genommen hast.«
»Wie kommst du denn darauf?« fragte sie schmunzelnd.
»Ich kenne dich einfach zu gut«, sagte er und grinste verschmitzt. Sie stellte ihre Reisetasche im Flur ab, umarmte ihren Vater.
»Was ist los?« fragte er und sah sie an.
»Nichts weiter, ich freue mich nur, hier zu sein. Das ist alles. Ich geh mich mal schnell frisch machen. Bin gleich wieder da.«
»Du kannst auch duschen, wenn du möchtest. Du bist bestimmt ganz schön durchgeschwitzt. Kein Wunder bei dieser Hitze.«
»Mal sehen. Gib mir eine Viertelstunde.«
Sie duschte, zog frische Unterwäsche, ein leichtes Oberteil und Jeans an, kämmte sich und begab sich nach unten, wo ihr Vater auf der Terrasse saß und auf den Garten schaute. »Da bin ich.« Sie sah auf den Tisch und lächelte. »Vater, Vater, du hast wieder für mindestens zehn Leute aufgetischt. Wer soll das bloß alles essen?«
»Setz dich, iß und trink, und was übrigbleibt, kommt in den Kühlschrank. So einfach ist das.« Er
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