Das achte Opfer
schenkte Pfefferminztee ein und fügte hinzu: »Ist übrigens aus unserem Garten. Ich koche mir jetzt wieder den ganzen Sommer über jeden Abend eine kleine Kanne.«
»Ich weiß«, erwiderte sie, während sie eine Scheibe Vollkornbrot nahm, etwas Butter darauf strich und zwei Scheiben Salami darüberlegte. »Wir haben den Tee schon getrunken, als Mama noch lebte. Es hat sich eigentlich nicht viel verändert.«
»Warum sollte ich etwas verändern, wenn ich mich wohl fühle? Ich lebe jetzt seit beinahe vierzig Jahren hier, und ich denke, ich werde in diesem Haus auch bleiben, bis Gott mich eines Tages abberuft und zu deiner Mutter bringt.«
Sie aßen eine Weile schweigend, bis ihr Vater die wortlose Pause beendete. »Also, was führt dich her? Kummer, Sorgen? Ist es wegen eines Mannes?«
»Nein, kein Mann und auch kein persönlicher Kummer . . .«
»Was ist es dann?«
Sie blickte auf, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, die Hände gefaltet. Sie holte tief Luft, sah ihren Vater an. »Es geht um diese Morde in Frankfurt. Wir bewegen uns auf der Stelle und finden auch kaum einen Anhaltspunkt, der uns weiterhelfen könnte.«
»Wie viele Morde sind es bis jetzt?«
»Drei, einer am Dienstag, einer am Mittwoch, einer am Donnerstag. Und alle Männer sind auf die gleiche Weise getötet worden. Erspar mir die Einzelheiten, es ist einfach zu grausam . . .«
»Wenn ich dir aber helfen soll, dann möchte ich auch die Einzelheiten wissen, um mir ein Bild machen zu können. Ich kann es vertragen, ich habe in meiner Zeit als Priester in so viele tiefe Abgründe schauen müssen, daß mich nichts mehr erschüttern kann.«
»Gut, wie du willst. Wie ich dir bereits sagte, sind mir die Morde vorher angekündigt worden. Ich habe alle Schreiben, die an mich gerichtet waren, mitgebracht. Der Täter hat seine Opfer mit Zyankali vergiftet, ihnen die Genitalien abgetrennt, die Kehle durchgeschnitten, die Augen ausgestochen und ihnen mit Blut die Zahl 666 auf die Stirn geschrieben. Und danach jeweils einen Zettel neben sie gelegt mit exakt dem gleichen Wortlaut, wie er auch mir zugegangen ist.«
»Kann ich die Schreiben einmal sehen?«
»Moment, ich hole sie.« Sie stand auf, ging nach oben in ihr Zimmer, holte die Klarsichthülle, in der sie alle Nachrichten vom Täter aufbewahrte. Ihr Vater hatte sich eine Brille aufgesetzt, las aufmerksam jeden Zettel. Nachdem er fertig war, legte er alles auf den Tisch, lehnte sich zurück, begann sich eine Pfeife zu stopfen, während Julia Durant sich eine Zigarette anzündete. Er nahm ein paar kräftige Züge, der würzige Duft des Tabaks erfüllte die Luft.
»Und was willst du jetzt von mir wissen?«
»Wenn ich das selber wüßte! Vielleicht einfach nur, was du davon hältst?«
»Was ich davon halte? Erzähl mir erst etwas über die Opfer.«
»Der erste, Doktor Matthäus, war Bankier, dreiundfünfzig Jahre alt, sehr reich, genau wie das zweite Opfer, Doktor Neuhaus, der mit Immobilien handelte, und auch das dritte Opfer, Doktor Winzlow, war alles andere als unvermögend, er war Direktor des größten Frankfurter Museums und außerdem als Kunstsachverständiger weltweit mehr als gefragt. Die ersten beiden waren verheiratet, wobei sie ihre Frauen ziemlich vernachlässigt haben, zumindest was Matthäus angeht, Neuhaus hat seine Frau sehr schlecht behandelt, er hat sie wohl des öfteren verprügelt und auch vergewaltigt. Winzlow war geschieden, und er hatte, das weiß ich seit heute morgen, abartige sexuelle Neigungen.«
»Kinder, stimmt’s?«
»Was meinst du?«
»Er hat sich an Kindern vergangen, davon gehe ich einmal aus. Der Wortlaut des Zettels weist irgendwie in diese Richtung.«
»Ja, stimmt. Was wir noch wissen, ist, daß sowohl Matthäus als auch Neuhaus, die übrigens Nachbarn waren, allerWahrscheinlichkeit nach engeren Kontakt miteinander hatten, obgleich ihre Frauen nichts davon mitbekommen haben. Außerdem gibt es eine Verbindung zwischen Matthäus und Winzlow, die beide gemeinsam studiert und laut der Exfrau von Winzlow bis zuletzt in Kontakt miteinander gestanden haben. Das sind die sehr dürftigen Fakten, die uns bislang vorliegen.«
»Hmh, nicht viel . . .«
»Was mir Kopfzerbrechen bereitet, Vater, ist – was soll die Zahl auf ihrer Stirn wirklich bedeuten? Erzähl mir etwas über diese Zahl.«
Julia Durants Vater schlug die Beine übereinander, paffte ein paarmal an seiner Pfeife, stopfte nach, sah versonnen auf den Garten. Er sagte: »Es gibt zwei – nennen wir
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