Das achte Opfer
würde, würde er mich umbringen. Und dann Thomas und dann sich selbst.« Elvira Winzlow lachte bitter auf, nahm einen Zug von ihrer Zigarette, trank einen Schluck Gin. »Ich schrie nicht mehr, ich sagte gar nichts. Ich ging ins Schlafzimmer, ich weiß noch genau, es war halb drei Uhr morgens, holte zwei Koffer und packte so viele Sachen für Thomas und mich hinein, daß wir gut zwei oder drei Wochen wegfahren konnten. Mein Mann wollte mich zurückhalten, er sagte, man könne doch darüber reden . . . aber nein, darüber kann man nicht reden, darüber gibt es nichts zu reden. Jedes Wort seinerseits wäre ein unnützes Wort gewesen. Er lag vor mir auf den Knien, bettelte mich an, keinem Menschen etwas davon zu erzählen, ich sollte doch an seinen Ruf denken. Ich weiß noch, wie ich sagte, ich würde keinem Menschen davon berichten, doch er würde von mir hören. Ich weiß bis heute nicht, was mein Mann Thomas eingeflößt hatte; als ich ihn ins Auto trug, schlief er immer noch . . . Wir blieben fast einen Monat weg, ich hatte einen Anwalt eingeschaltet und die Scheidung eingereicht. Den Rest kennen Sie.«
»Wissen Sie etwas darüber, ob Ihr Mann sich auch an anderen Jungen vergangen hat?«
Elvira Winzlow zuckte mit den Schultern. »Nein, keine Ahnung. Doch ich nehme es an. Ich schätze, wenn diese abartige Neigung in einem Menschen verankert ist, wird er sich immer ein Ventil suchen, um diesem Trieb Befriedigung zu verschaffen. Die Ausstellung in seinem Museum kommt nicht von ungefähr. Er hatte wohl diesen Hang zu Kindern.«
»Eine andere Frage – sagen Ihnen die Namen Doktor Matthäus und Doktor Neuhaus etwas?«
»Matthäus ja, Neuhaus nein. Doktor Matthäus und seine Frau waren dann und wann Gäste bei uns. Mein Mann und Matthäus haben zusammen die Uni besucht, irgendwann haben sich ihre Wege getrennt, aber sie haben sich nie aus den Augen verloren. Warum fragen Sie nach den beiden?«
»Augenblick, Sie wissen nicht, was geschehen ist?«
»Nein, aber ich habe in den letzten Tagen keine Nachrichten gehört oder Zeitung gelesen. Was ist passiert?«
»Die beiden sind auf die gleiche Weise umgebracht worden wie Ihr Exmann. Das gleiche Ritual.«
»Und Sie vermuten . . .«
»Ich vermute bis jetzt gar nichts. Ich versuche lediglich, Zusammenhänge herzustellen. Und wie es scheint, gibt es welche. Wo ist Ihr Sohn Thomas jetzt?«
»Er ist mit meiner Mutter in die Stadt gefahren. Sie werden wohl bald zurück sein.«
»Und wie geht es ihm jetzt?«
»Er ist sieben, und ich glaube, er weiß gar nicht, was sein Vater mit ihm gemacht hat. Ab und zu fragt er noch nach ihm, aber ich habe nicht den Eindruck, als ob er ihn sonderlich vermissen würde. Und das ist auch gut so.«
»Sicher. Eine letzte Frage, bevor ich gehe. Ist Ihnen bekannt,ob Ihr Exmann jemals in irgendeiner Weise mit Drogen oder Waffen zu tun hatte?«
»Nein, darüber ist mir nichts bekannt.«
»Gab es, als Sie noch verheiratet waren, einen bestimmten Tag in der Woche, an dem Ihr Mann nachts nicht zu Hause war?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Es interessiert mich.«
Elvira Winzlow überlegte. »Ja, einmal in der Woche war er immer weg, es sei denn, er war geschäftlich unterwegs. Er kam dann stets spät in der Nacht nach Hause. Interessant, daß Sie mich das fragen, denn ich hätte damals zu gern gewußt, was er in diesen Nächten getrieben hat. Er hat es mir aber nie verraten.«
Julia Durant erhob sich, sagte: »Danke für Ihre Hilfe. Und das meine ich ernst. Sie haben mir einen Riesenschritt weitergeholfen. Einen schönen Tag noch. Und sollte Ihnen noch irgend etwas einfallen, was unter Umständen hilfreich bei der Aufklärung der Fälle sein könnte, dann rufen Sie mich doch bitte an. Hier ist meine Karte.«
Elvira Winzlow nahm die Karte, warf einen Blick darauf, sagte: »Warten Sie, ich begleite Sie nach draußen.«
Am Tor verabschiedeten sich die beiden Frauen voneinander, Julia Durant stieg in ihren Wagen, fuhr zurück zu ihrer Wohnung. Es war sehr warm und schwül geworden, der Verkehr nach Frankfurt war, wie meist am Samstagmorgen, dicht. Während der Fahrt dachte sie über das Gehörte nach, aber auch über die beiden jungen Frauen der vergangenen Nacht. Hoffentlich konnte ihnen schnell geholfen werden. Doch wenn wirklich eine mächtige Organisation dahinterstand, dann waren die Erfolgsaussichten nicht sehr groß. Sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, schaffte es jedoch nicht, diese Gedanken aus ihrem Kopf zu
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