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Das achte Opfer

Das achte Opfer

Titel: Das achte Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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untersetzter Mann mit Halbglatze, bekleidet mit einer ausgeleierten Trainingshose und einem Rippenunterhemd stand vor ihr. Sein Atem roch nach billigem Fusel, seine Augen waren glasig.
    »Was wollen Sie?« fragte er mit schwerer Stimme.
    »Kriminalpolizei. Hier sind meine Marke und mein Ausweis. Sie haben doch sicherlich einen Zweitschlüssel für jede Wohnung, oder?«
    »Natürlich, bin ja schließlich der Hausmeister. Was gibt’s denn?« fragte er barsch.
    »Ich möchte Sie bitten, eine Wohnung im vierten Stock zu öffnen . . .«
    »Ist was passiert?«
    »Das weiß ich nicht«, erwiderte Julia Durant gereizt, »deswegen sollen Sie ja die Wohnung aufmachen. Und jetzt beeilen Sie sich bitte.«
    »Ja, ja, schon gut. Ich zieh mir nur schnell was über.« Er ließ die Tür offenstehen, torkelte mehr, als daß er ging, in die Wohnung zurück, zog sich ein kariertes Flanellhemd an, nahm einen dicken Schlüsselbund vom Haken und ging vor der Kommissarin die Treppe hoch. »Welche Wohnung?« fragte er.
    »Rechts.«
    »Moment, gleich haben wir’s.« Er sah einen Schlüssel nach dem anderen durch, bis er den richtigen gefunden hatte. Er steckte ihn mit vom Saufen zittrigen Fingern ins Schloß, die Tür war nicht abgeschlossen, nur zugezogen.Er wollte gerade den Flur betreten, als Julia Durant ihn zurückhielt.
    »Ich brauche Sie jetzt nicht mehr. Den Rest kann ich allein erledigen. Danke.«
    Sie trat in die Wohnung, ließ die Tür ins Schloß fallen. Sie stand einen Moment in dem kurzen, schmalen Flur, in dem es heiß und stickig war, die beiden rechten und linken Türen waren geschlossen. Sie ging ein paar Schritte auf das vor ihr liegende Zimmer zu, dessen Tür nur angelehnt war. Sie drückte sie auf und erstarrte. Es war, als würde ein dicker Kloß in ihrem Hals sitzen und ein Eisenring sich um ihre Brust schnüren. »Mein Gott!« flüsterte sie, als sie auf den Boden sah. Natascha lag in seltsam verrenkter Haltung vor der Heizung, die Augen weit aufgerissen, die Hände unnatürlich gespreizt. Ihr Morgenmantel stand offen, darunter war sie nackt. Julia Durant betrat das zweite Zimmer, wo Tatjana nackt auf dem Rücken im Bett lag. Die Kommissarin ging näher an sie heran. Eine Kugel hatte Tatjanas Kopf kurz oberhalb der Nasenwurzel durchdrungen, während Natascha durch einen Genickschuß getötet worden war.
    Wie in Trance holte Julia Durant ihr Handy aus der Tasche, wählte die Nummer des Präsidiums.
    »Berger.«
    »Hier Durant«, sagte sie mit belegter Stimme. »Lassen Sie bitte sofort die Spurensicherung, einen Fotografen, einen Arzt und einen Leichenwagen in den Oeder Weg kommen. Die beiden Lettinnen sind tot. Wie es aussieht, sind sie hingerichtet worden.«
    »Was sagen Sie da?« fragte Berger entsetzt.
    »Sie haben mich richtig verstanden, die beiden sind tot! Ich warte hier.«
    Sie setzte sich auf die alte, ausgefranste Couch, lehnte sich zurück, ihr Blick ging zur Decke, dann zu Natascha. IhreAngst war berechtigt gewesen, dachte Julia Durant, holte eine Zigarette aus ihrer Tasche und zündete sie an. Sie war fest überzeugt gewesen, daß die beiden jungen Frauen hier in Sicherheit waren. Sie seufzte auf, schüttelte den Kopf ungläubig, fragte sich, wer hinter diesen infamen Morden stecken könnte. Eine Antwort darauf, das wußte sie, würde sie vermutlich nie bekommen. Wer außer ihr und Schnell wußte, wo die beiden hingebracht worden waren? Und wer hatte den Mordauftrag gegeben? Sie begab sich ans Fenster und sah auf den Hinterhof mit den spielenden Kindern. Kinder, Natascha und Tatjana wollten nur ihre Kinder wiederhaben. Nicht mehr und nicht weniger. Und dann mit ihnen zurück nach Lettland gehen, wo das Leben mit Sicherheit bescheidener, doch bestimmt auch ruhiger war. Sie rauchte in hastigen Zügen, um ihre angespannten Nerven zu beruhigen. Nach dem letzten Zug drückte sie die Zigarette im überquellenden Aschenbecher aus. Sie beugte sich über Tatjana, betrachtete einige Sekunden das kleine Einschußloch in der Stirn. Es war nur ein Loch, das jetzt von einer winzigen Menge Blut verkrustet war. Sie nahm ein Taschentuch, befühlte die Leiche. Sie ist noch nicht lange tot, sagte die Kommissarin zu sich selbst. Die Leichenflecken waren noch nicht ausgebildet, ebensowenig die Leichenstarre. Wahrscheinlich waren sie um die Mittagszeit umgebracht worden, wahrscheinlich hatte der Täter einen Schalldämpfer benutzt. Doch wie hatte er sich Zutritt zu der Wohnung verschaffen können? Wie extrem vertrauenswürdig

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