Das Achtsamkeits Buch
Persönlichkeit. Wenn deren Aufgabe, die unangenehmen Gefühle zu verhindern, unnötig wird, treten sie mehr in den Hintergrund. Haben die verletzlichen Teile der Persönlichkeit einen Platz und eine Daseinsberechtigung, müssen sie von den Beschützern nicht mehr verdrängt oder »verbannt« werden. Die Beschützer können sich entspannen und die destruktiven Aspekte ihrer Rolle loslassen.
Zurück zur Wechselwirkung zwischen Erwin und Susanne E.: Frau E. fühlt sich von der abweisenden, schroffen Art ihres Mannes verletzt. Seine zynischen Bemerkungen provozieren sie dann noch mehr und eine wütende »Furie« geht mit Anschuldigungen auf ihren Partner los. Frau E. wird so schlagartig von der »Furie« überwältigt, dass sie nicht mehr den Abstand hat, auszusprechen, was gerade passiert. Die Verletzung, sich abgewiesen zu fühlen, ist überlagert vom Verteidigungskampf. Gleichzeitig gibt es einen kritischen Anteil, der mit Widerwillen und Entsetzen auf die »Furie« blickt. Ihre eigentlichen Bedürfnisse kann sie in diesem Zustand nicht wahrnehmen und sie ist deshalb auch nicht in der Lage, sie ihrem Mann mitzuteilen. Um nicht mit Gegenangriff oder Abwehr zu reagieren, müsste Frau E. früher den Teil wahrnehmen, der auf den abweisenden Tonfall ihres Partners so verletzt reagiert. Bei ihr ist es die »graue Maus«, die sich nicht gesehen fühlt, so als wäre sie ganz unwichtig. Wenn sich Frau E. diesem Teil wohlwollend zuwenden würde, könnte sie deutlicher spüren, was dessen Bedürfnis ist: nämlich ernst genommen und gehört zu werden. Die Beschuldigungen der »Furie« sind der verzweifelte Versuch, auf sich aufmerksam zu machen und Kontakt herzustellen. Längerfristig könnte es für Frau E. hilfreich sein, sich in den Situationen, in denen ihre »graue Maus« empfindsam reagiert,dieser empathisch zuzuwenden, ihr gut zuzureden und sie so zu beruhigen. Damit wird das eigentliche Bedürfnis, das hinter dem Verhalten der »Furie« liegt, wahr- und ernst genommen. Und erst damit kann Frau E. ihre Wünsche auf eine Weise mitteilen, auf die ihr Partner eingehen kann, indem er sich ihr zuwendet und sie anhört. Denn die »Furie« bewirkt genau das Gegenteil.
Weg und Unterstützung
Achtsamkeit vertieft und erweitert die Bewusstheit in allen Lebensbereichen. Erst dieses Bewusstwerden eröffnet die Chance, mit sich selbst und anderen auf gewünschte Weise umzugehen. Achtsamkeit eröffnet in Kombination mit einem differenzierten Persönlichkeits-Modell und einem vertieften Verständnis von Innenwelten eine Vielfalt von Alternativen zu den sonst üblichen, mehr oder weniger bewährten Automatismen, die das Leben begleiten. Dabei ist es aber entscheidend, dass Achtsamkeit geübt werden muss. So sind alle vorgeschlagenen Wege oft erst dann möglich oder nachhaltigwirksam, wenn sie von einem regelmäßigen Achtsamkeits-Training begleitet werden. Dann können sie sich auch zunehmend auf struktureller und funktioneller Ebene im Gehirn auswirken.
Unterstützend bei diesem Vorhaben kann sein, sich einen Coach oder Therapeuten zu suchen, der gemeinsam mit dem Übenden die ersten Schritte unternimmt, die Ansatzpunkte sichtbar macht und die Motivation nährt, ein achtsames Leben zu führen. Wie das gehen kann, soll im nächsten Abschnitt deutlich werden.
Übungen
Ein Geschmack vom übergeordneten Beobachten
Zeitbedarf: 20–30 Minuten.
Zweck: Sich dem übergeordneten Beobachten nähern.
Grobstruktur: In Achtsamkeit Teile bemerken und nacheinander bitten, zurückzutreten. Papier und Stift in Reichweite.
Quelle: »Selbst in Führung« (Dietz & Dietz, 2007, S. 100–101).
• Setzen Sie sich bequem hin, Rücken aufrecht, Füße auf dem Boden.
• Schließen Sie die Augen oder richten Sie den gesenkten Blick entspannt auf einen Punkt vor sich.
• Beginnen Sie dann wie bei der Übung der Achtsamkeit mit dem konzentrierten Beobachten des Atems.
• Wenn Sie abgelenkt werden – durch einen Gedanken, eine Körperempfindung, ein Geräusch oder ein Gefühl – wenden Sie sich den jeweiligen Gedanken, Körperempfindungen oder Gefühlen zu und fragen Sie sich: Welcher Teil könnte das jetzt sein, der das denkt oder fühlt?
• Unabhängig davon, ob Sie den Teil gleich identifizieren können, oder es unklar bleibt, welcher Teil es ist – wenden Sie sich ihm (Gefühl oder Gedanken) für einen Moment interessiert und offen zu.
• Wenn Sie möchten, können Sie dabei verweilen
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