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Das Achtsamkeits Buch

Das Achtsamkeits Buch

Titel: Das Achtsamkeits Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halko Weiss , Thomas Dietz
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entwickelte mit diesem Vorgehen eine durch den Osten inspirierte Neuerung, die unseres Erachtens eine wesentliche Veränderung im Verständnis tiefenpsychologischer Behandlung bewirkt: Der Klient wird nicht mehr darin unterstützt, seine Erfahrungen zu reflektieren, er wird sogar davon abgehalten. Stattdessen lernt er, Achtsamkeit in dem Sinne zu nutzen, seine normalerweise nicht bewussten, automatischen Mechanismen genauestens und vertiefend zu beobachten .
     
    So bemerkt der 34-jährige Standesbeamte Norbert K., der wegen Schlafstörungen und unkontrollierbarer Nervosität in Gegenwart von Vorgesetzten zum Coaching kommt, dass er sofort den Blicken seines Coaches ausweicht, sobald sich die beiden auch nur für einen Moment anschauen. Der Coach führt Herrn K. in einen achtsamen Zustand, hier mit geschlossenen Augen. Dann bittet er ihn, ganz genau zu beobachten, was im Inneren passiert, wenn er sich vornimmt, die Augen zu öffnen – mit dem Wissen, dass der Coach ihn anblickt. Nach einigen Sekunden fängt Herr K. an zu beschreiben, wie sich bei dieser Vorstellung der Bauch verkrampft. Der Coach fragt nun nach und untersucht gemeinsam mit Herrn K. die genauen Empfindungen im Bauch. Diese werden beiden nun immer feiner und detaillierter bewusst. Über mehrere Minuten wird die damit verbundene intensive Angst deutlich, die den ganzen Körper erfasst und ihn subtil »vibrieren« lässt. Nunstudieren beide gemeinsam diese Angst und deren Qualitäten. Dabei tauchen plötzlich Bilder von bösen, bohrenden Augen auf, die Herr K. aus seinen Träumen kennt. Er bemerkt, dass er intuitiv zu erwarten scheint, dass die Augen anderer Menschen feindlich und drohend auf ihn gerichtet sind, besonders dann, wenn diese »größer« sind, als er selbst.
     
    In diesem Abschnitt der Sitzung wird deutlich, dass der Coach seinen Klienten nicht dazu anregt nachzudenken oder zu reflektieren, was er für Gründe haben könnte, seinen Blicken auszuweichen. Stattdessen wird er eingeladen, zu beobachten , was in seinem Inneren automatisch und von allein abläuft. Die Beobachterposition der Achtsamkeit wird genutzt, die oft kaum kontrollierbaren Mechanismen unbewusst produzierter Vorgänge zu bemerken und zu erkunden. Es wird sogar vermieden, Einschätzungen vorzunehmen, zu bewerten, zu verbessern, zu verändern oder zu kontrollieren oder sonst irgendwie der mentalen Bearbeitung zu folgen. Die Achtsamkeit lädt ein, über längere Zeit genau und ohne Vorlieben einfach zuzuschauen und das zu bemerken, was sonst unbewusst abläuft.
    Es gibt seit Freud genügend Hinweise darauf, dass die mentalen Kapazitäten des Menschen, mit seinen inneren Vorgängen aufklärend und konstruktiv umzugehen, sehr begrenzt sind (Weiss & Harrer, 2006). Die letzten Jahrzehnte haben diese Vermutung bestätigt, indem sich gezeigt hat, dass frühkindliches Erleben mit dem Bewusstsein gar nicht zu berühren ist. Erinnerungen werden vom Gehirn ständig überarbeitet und verändert und gedankliche Interpretationen innerer Vorgänge werden sehr stark durch das beeinflusst, was wir uns wünschen oder was uns irgendeine brauchbare Erklärung liefert (Roth, 2003). Mit anderen Worten: wir können dem, was wir denken, keineswegs trauen.
    Das Konzept der Achtsamkeit stellt dem reflektierenden westlichen Vorgehen eine Alternative entgegen. Mit Hilfe derEinsichten aus dem Osten können wir lernen, unser Unbewusstes (siehe Exkurs »Implizites und explizites Gedächtnis«, S. 214) in Aktion zu beobachten. Auf diese Weise kommen wir den prägenden Lebenseindrücken näher, die – im Laufe unserer Entwicklung erworben – immer noch unsere Gefühle und andere, zum Beispiel körperliche Mechanismen formen. Achtsamkeit ermöglicht Bewusstwerdung durch gemeinsames Beobachten und nicht durch die – vor allem von mentalen Qualitäten getragenen – Strategien des Therapeuten wie Deuten, Reflektieren von Zusammenhängen oder das Erkennen von Mustern.
     
    Achtsamkeit als zusätzliches Übungselement
    Achtsamkeit hat in den letzten beiden Jahrzehnten in Coaching und Psychotherapie große Aufmerksamkeit gefunden. So ist es gut, zu verstehen, wie sie dort eingesetzt wird. Anders als im Folgenden vorgeschlagen, ist sie in den achtsamkeits-basierten Verfahren methodisch nicht in den gesamten Therapieprozess integriert (Johanson, 2006; Mace, 2008). Stattdessen werden meist kleine oder größere, klassisch-buddhistische Übungselemente in die erprobten westlichen Behandlungspläne eingebaut

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