Das Achtsamkeits Buch
seiner Biographie über den Zen-Meister Shunryu Suzuki, wie dessen spiritueller Lehrer So-on auch auf das persönliche Wachstum seines Schülers einwirkte. Chadwick zitiert Suzuki:
»Es ist der Charakter oder die Persönlichkeit, das Wechselspiel zwischen Lehrer und Schüler, die die Übertragung und lebendiges Zen möglich machen. Die Beziehung zwischen Lehrer und Schülern ist für uns sehr wichtig. Damals verstand ich dasnoch nicht, aber das erste Problem, mit dem mein Meister mich konfrontierte, war diese Geschichte von Yakusan« (bei der es um die Rolle des Zen-Lehrers geht; Anmerkung der Autoren) .
Ein paar Zeilen weiter fährt Chadwick fort:
»Die Jungen (Mönche; Anmerkung der Autoren) reinigten den Tempelteich und schöpften Schlamm vom Grund. So-on arbeitete ganz am Rand. Shunryu fing einen kleinen Goldfisch und sah, dass ein winziger Wurm an ihm hing. ›Das ist (ein) Mijinko!‹ rief er voller Stolz aus.
›Halt den Mund!‹ bellte So-on ihn an.
Shunryu verstand nicht, wieso So-on ihn angeschrien hatte, viel später aber erzählte er diese Geschichte, um zu zeigen, dass sich sein Lehrer auf das kleinste Anzeichen von Selbstsucht stürzte.«
Und Suzukis Kommentar:
»Mich anzuschreien, als ich mit meinen Kenntnissen prahlte, war eine andere Art des Mitgefühls, eine Form von Güte« (Chadwick, 2000, S. 33).
Viele Meister gaben zwischen den Meditationssitzungen persönliche – heute würde man sagen psychologische – Anweisungen und meditierten gemeinsam mit ihren Schülern. Von dort ist es jedoch ein großer Sprung hin zu einer Psychotherapie, in der während der achtsamen Versenkung plötzlich ein Gesprächspartner da ist, der sich ebenfalls aus einem achtsamen Zustand heraus für einen verbalen Austausch über das jeweilige Erleben des Übenden zur Verfügung stellt. Das Eingreifen spiritueller Lehrer war traditionell entweder eher autoritär oder sie wirkten über Resonanzphänomene (Lewis et al., 2000; Siegel, 2006b) durch ihre eigene Fähigkeit zur Präsenz auf den Geist ihrer Schüler ein.
Ein gemeinsames, achtsames Vorgehen im gegenwärtigen Augenblick, das sich am unmittelbar auftauchenden Erlebendes Klienten orientiert, erfordert vom Begleiter besondere, zusätzliche Leistungen: große Toleranz, ein langsames Vorgehen, Genauigkeit und eine feine Abstimmung auf die Befindlichkeit des Klienten (Tronick et al., 1998). Es ist intim, unmittelbar und mit großer Verantwortung des Therapeuten oder des Coachs verbunden.
Veränderter Fokus: Vom Reflektieren zum annehmenden Beobachten
Ein In-sich-Hineinschauen, Hinein-Fühlen, Hinein-Horchen wird in westlichen Gesellschaften »Introspektion« genannt. Dieses Vorgehen hat sich aber nie durchsetzen können, unter anderem deshalb, weil man nicht erkannte, dass es nicht von vornherein von jedem Menschen beherrscht wird. Es muss geübt und gelernt werden (Ginsburg, 1996; Wallace, 2007). Heute gibt es einige therapeutische Verfahren, die Formen von Gewahrsein in die Sitzungen integrieren, die der Achtsamkeit entsprechen oder ihr zumindest sehr nahekommen (Cole & Ladas-Gaskin, 2008). Als Pionier einer fundamentalen Integration von Achtsamkeit und Tiefenpsychologie gilt der amerikanische Psychologe Ron Kurtz. Er begann bereits in den 1960er Jahren, Achtsamkeit in den Behandlungsprozess einzubauen, nachdem er über längere Zeit mit Yoga und Vipassana-Meditation in Berührung gekommen war. Er schreibt (1990, S. 50):
»J. P. Morgan sagte einmal: ›Wenn sonst keine Unterschiede bestehen, würde ich mich für den Mann entscheiden, der sein Essen kostet, bevor er es salzt.‹ Und damit beginnt auch die Innere Achtsamkeit – lieber zuerst kosten, statt gleich zu tun, zuerst wahrnehmen, wie wir berührt werden und unser Bewusstsein angesprochen wird, wie wir unsere Erfahrung organisieren.«
»Die grundlegende Methode besteht darin, eine Beziehungaufzubauen, in deren Rahmen der Klient Innere Achtsamkeit entwickeln, im Zustand dieser Inneren Achtsamkeit Erfahrungen aufrufen und die ausgelösten Erfahrungen durcharbeiten kann« (1990, S. 21).
»Achtsamkeit … ist charakterisiert durch ein entspanntes Wollen, die Hingabe an das und die Akzeptanz dessen, was im Augenblick geschieht; eine sanfte, kontinuierlich bewahrte Konzentration darauf, die Wahrnehmung nach innen zu richten, eine erhöhte Sensibilität sowie die Fähigkeit, die Bewusstseinsinhalte zu beobachten und zu benennen « (1990, S. 20).
Kurtz
Weitere Kostenlose Bücher