Das Aion - Kinder der Sonne
nebeneinander angebrachten Informationsschildern, woraufhin sie entweder verständnisvoll nickten oder unwirsch die Köpfe schüttelten. Die meisten von ihnen gingen schließlich wieder nach Hause.
»Was hast du vor?«, wollte Jiril wissen, als Mira auf die Mauer zuging. »Da geht es nicht weiter. Lass uns einen anderen Weg suchen.«
»Ich will erst wissen, was auf den Schildern steht«, antwortete sie.
Kurz darauf standen sie Schulter an Schulter und lasen, was die Hinweistafeln verkündeten.
Vorläufige Begrenzung des neuen Oststadt-Schutzgebietes, stand auf der größten Tafel. Rechts daneben war auf einer kleineren, handbeschrifteten zu lesen: Das Verwenden von Trittleitern jeglicher Art ist bis auf Weiteres nur noch Mitgliedern der freiwilligen Feuerwehr gestattet! Und auf einem hastig hingekrakelten Schild daneben stand: Dasselbe gilt für Kletterseile, Katapulte und wühlende Hunde.
»Oststadt-Schutzgebiet«, wiederholte Jiril und blies angesäuert die Backen auf. »So ein Schwachsinn.« Er wandte sich um und sagte: »Versuchen wir’s woanders …«
Doch zu ihrer Verwunderung stießen sie in jeder Straße und jeder Gasse, die in die Oststadt führte, auf eine ähnliche Mauer. Nirgendwo gab es Türen, Durchschlupfe, Treppen oder Unterführungen. Und überall war darauf geachtet worden, die Barrieren unmittelbar an den Mauern der Häuser zu errichten, sodass kein pfiffiger Bürger sie hätte umgehen können, indem er einfach vor der Mauer in das angrenzende Haus hineingehen konnte, um es jenseits davon wieder zu verlassen. Die Maurer hatten die gesamte Oststadt abgesperrt. Hinzu kam, dass alle Stadttore während der Meeresüberquerung geschlossen waren.
»So viel zum unaufschiebbaren Nacht- und Nebelprojekt unseres Gastgebers«, grummelte Jiril.
»Du meinst, er hat all die Mauern absichtlich errichten lassen?«
Jiril winkte ab und sah abschätzend hinauf zu den farbenprächtigen Gebäuden auf der Hügelkuppe. »Wenn ich einen Drachen hätte …«
»Einen Drachen?«, echote Mira.
»Dann könnte ich mit ihm von einer höheren Ebene aus einfach über die Mauer fliegen …«
Das Mädchen starrte den Alpha ungläubig an. »Du kannst einen Drachen reiten?«
»Einen Lenkdrachen natürlich«, erklärte Jiril. »Einen Hängegleiter. Das ist ein Fluggerät aus Stoff und Metallstreben, das man mit Seilen und seinem eigenen Körpergewicht steuert.« Er zeichnete die Konstruktion mit dem Finger in den Staub. »So in etwa«, sagte er. »Einen Drachen reiten …« Jiril schüttelte amüsiert den Kopf. »Ihr Betas lebt wirklich noch im Mittelalter.«
Mira schnaubte aufgebracht durch die Nase. »Ich hätte dich gestern Abend abschütteln sollen, als du unter dem Sims an meinem Bein hingst!« Wütend zertrat sie Jirils Staubzeichnung, dann wandte sie sich ab und lief auf eine nahe Treppenflucht zu. Dabei nahm sie im Schatten der gegenüberliegenden Straßenseite etwas wahr, das sie kurz innehalten ließ. Unschlüssig, was dort ihre Aufmerksamkeit erregt hatte, änderte sie die Richtung und überquerte die Straße. Auf einer flechtenüberzogenen Steinplatte, die in eine Hausmauer eingelassen war, las sie schließlich:
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auf der 5. Ebene, nach 200 Metern links
»Was ist denn ein Ammonion?«, rief sie zu Jiril hinüber.
»Ein Brunnen«, kam es launisch zurück. »Oder vielleicht auch das hiesige Orakel.«
»Ist das ein Mensch?«
»Wahrscheinlich eher ein billiger Wahrsageapparat, der nur ›weissagt‹, wenn man eine bestimmte Anzahl von Geldmünzen einwirft. Irgend so ein wasserdampfbetriebener Mogelapparat, bei dem dann ein Blechvögelchen zwitschert. In der Antike gab es fast in jeder Tempelstadt so ein Ding. Ist nichts Besonderes, ein reiner Touristennepp und garantiert kostenpflichtig.«
Mira ging bis zu einem der schmalen Treppenaufgänge. »Das will ich sehen.«
Jiril verdrehte die Augen. »Das war so klar«, murmelte er leise. Dann etwas lauter: »Wahrscheinlich verlangen sie schon eine Treppenbenutzungsgebühr, dann eine Linksabbiege-Pauschale, dann den Tarif für die fünfte Ebene und schließlich noch Eintritt in die Orakelsphäre. Gehen wir lieber in eine der Bibliotheken. Oder besser erst mal einen Schluck trinken. Diese Lauferei macht durstig.«
Mira sah die steile, geschwungene Treppe empor. »Geh du ruhig etwas trinken. Ich schaue mir dieses Ammonion an.«
Jiril zog eine säuerliche Miene und schien tatsächlich zu überlegen, in einer der
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