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Das Aion - Kinder der Sonne

Das Aion - Kinder der Sonne

Titel: Das Aion - Kinder der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Schenken vor Miras Sturheit Schutz zu suchen. Dann ließ er die Schultern hängen und kam herangeschlurft. »Wenn ich die Pest bin, bist du zweifellos Cholera!«, schimpfte er.
    »Begehrt ihr Weisheit?«, fragte unversehens eine heisere Stimme. Aus dem Schatten einer Gasse, die wie eine finstere Spalte zwischen zwei Häusern hindurchführte, trat eine gebückte Gestalt.
    Jiril stöhnte gequält auf. »Das musste ja kommen …«
    Die Fremde trug erdfarbene Kleidung, die mehr aus schmutzigen, übereinandergeworfenen Decken und Tüchern zu bestehen schien als aus Schneiderware. Neugierig linste sie unter einer dicken Kapuze hervor.
    »Handleser, Kartenleger und Wahrsager …«, murmelte Jiril. »Dieses Unterstadt-Gesindel hatte ich völlig vergessen.«
    Auch Mira betrachtete die Frau misstrauisch.
    »Wer seid ihr?«, quäkte die Alte und umrundete das Mädchen. »Fremde Haut, fremde Augen.« Dann musterte sie abschätzend Jiril. »Für ein paar Daram beschaffe ich euch reichlich frische Eingeweide: Magen, Gedärm, Galle. Für ein paar Daram mehr vielleicht ein Herz, rot und saftig«, raunte sie verschwörerisch und leckte sich über die Lippen.
    Mira verzog angewidert das Gesicht. Zu ihrer Verwunderung zog Jiril den kleinen Lederbeutel, der ihm als Geldbörse diente, aus seiner Tasche. In den Augen der Alten erschien daraufhin ein erwartungsvolles Glitzern.
    »Was tust du da?«, fragte Mira. »Ich will keine blutigen Eingeweide sehen. Das ist widerlich!«
    »Anders werden wir sie nie los.« Jiril reichte der Alten ein paar Münzen, die von ihr sogleich auf Anzahl und Echtheit überprüft wurden.
    »Zwei Daram«, sagte sie erfreut. »Ihr seid großzügig. Was darf ich für euch tun?«
    »Uns in Ruhe lassen und das Weite suchen«, brummte Jiril.
    »Aber ich lese Wissbegier in den Augen des Mädchens«, erwiderte die Frau. Sie schnüffelte erst an Mira, dann an Jiril. »Feine Kleider, feiner Duft. Haben Seife für ihre Körper und Parfüm für den Nacken. Wohlbekanntes Parfüm, oh ja. Kostgänger des Magistraten … Welch eine Freude, euch zu begegnen. In so einer geschäftigen Stadt grenzt es fast schon an ein Wunder, die ersten beiden Gäste seit dem Besuch des ehrenwerten Brunnenputzers Pekkapak zu treffen. Dass ausgerechnet mir dieses Glück widerfährt … Für die zwei Daram des feinen jungen Herrn führe ich euch gerne hinauf zu unserem geschätzten Orakel. Vielleicht freundet man sich ja unterwegs sogar an …« Sie schob die beiden auf den Treppenaufgang zu, was Mira vermuten ließ, dass die Alte sie bereits eine ganze Weile belauscht haben musste.
    Jiril machte eine ergebene Geste. »Tun wir ihr doch den Gefallen. Wäre eh unser Weg gewesen.«
    Die Alte kicherte. Offenbar verbarg sie unter ihren Tüchern und Kapuzen Ohren, so groß wie Suppenteller. »Ihr müsst wissen, das Ammonion ist sehr alt. Es weilte bereits in Darabar, lange bevor die Stadt sich zum ersten Mal in die Luft erhoben hatte. Und es ist beileibe kein dampfbetriebenes Vögelchen …«
    Aus dem Mund ihrer aufdringlichen Fremdenführerin folgte eine ausgewählte Anzahl eingetretener Weissagungen und Prophezeiungen nebst Erläuterungen und Randbemerkungen.
    »Fällt dir eigentlich auf, dass die Bewohner dieser Stadt Besuchern gegenüber einen übertrieben ausgeprägten Drang verspüren, Konversation zu betreiben?«, flüsterte Jiril Mira ins Ohr.
    Mira verzog das Gesicht. »Falls du damit sagen willst, dass sie pausenlos schwatzen, dann ja.«

 
16  Sonderbare Omen
     
     
    Die Treppe, über die die Alte sie schleuste, war schmal und ihre Stufen von zahllosen Schritten glatt getreten. Sie führte in einem weiten Bogen über vier Ebenen empor auf einen quadratischen, menschenleeren Platz, der ausnahmslos von fensterlosen Gebäuden umgeben war. Im Sonnenlicht strahlte sein gesamter Boden von Millionen winziger Quarzkristalle und Glimmerstücke, die in den Granit der Pflastersteine eingebettet waren.
    Die Mitte des Platzes bildete ein weiter Kreis grob behauener Steinquader, der ein eigenartiges Artefakt umschloss. Entfernt erinnerte Mira das nahezu drei Meter hohe Ding an eine plumpe aus Sandstein gehauene Statue. Sie hatte einen riesigen mondförmigen Kopf mit großen, rot gefärbten Mandelaugen ohne Pupillen, der auf einem krummen Schwanenhals saß und so platt war wie ein Fladenbrot. Arme und Beine der Figur schienen lediglich Stümpfe zu sein, ohne Gelenke, Finger oder Füße. Der Körper selbst war sackartig aufgebläht, und aus der Stirn

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