Das Aion - Kinder der Sonne
Problem!«
»Definiert bitte ›Problem‹, Sansar Benoît.«
»Wir sind viel zu weit südlich.«
»So lautete die Order«, verteidigte sich Delius. »Immer nach Süden.«
»Aber doch nicht so weit nach Süden!«, beschwerte sich Ben.
Delius’ Kopf ratterte wie ein antiker Lochkartendrucker. »Die maximale Länge der Strecke wurde von Euch nicht definiert«, erklärte der Roboter.
Ben verdrehte die Augen. »Es wäre ganz hilfreich zu wissen, wie weit wir vom Termit-Massiv entfernt sind und in welcher Richtung es liegt. Empfängst du irgendein Signal?«
»Bedaure, Sansar Benoît.«
»Kannst du zumindest feststellen, wo in etwa wir uns befinden?«
»Der Vegetation nach zu urteilen südlich des 15. Breitengrades.« Delius erhob sich und fuhr seinen Kopf aus wie ein Periskop. »In westlicher Richtung befindet sich ein ausgedehntes Waldgebiet.«
Ben unterbrach seine Arbeit. »Das ist unmöglich«, erklärte er. »Kein natürlicher Freiwald kann die Sonnenstürme überlebt haben.« Er angelte das Fernglas aus dem Rigger und kletterte auf einen nahen Felsbuckel – doch Delius hatte Recht: Am Horizont erstreckte sich tatsächlich ein Waldgürtel. Die Bäume waren so mächtig, dass er unmöglich erst in den vergangenen 80 Jahren gewachsen sein konnte. Dieser Wald bestand seit Jahrhunderten.
»Laut Distanzmesser sind es knapp zwanzig Kilometer bis dorthin«, erklärte Ben, als er zum Luftkissenboot zurückgekehrt war. »Wo derart üppige Vegetation gedeiht, gibt es auch Wasser. Und wo Wasser fließt, leben womöglich auch Menschen, bei denen wir uns ein Fortbewegungsmittel besorgen können. Öle schon mal deine Gelenke«, empfahl er Delius, während er das Marschgepäck zusammenzustellen begann. »Wir haben einen weiten Weg vor uns.«
21 Der Prozess
Mira wusste nicht, ob es eine Stimme gewesen war, die sie geweckt hatte, oder die Schmerzen in ihrer Hand. Orientierungslos blinzelte sie in die Dunkelheit. Die Finger ihrer linken Hand strichen über kühles, glatt getretenes Holz, doch es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass sie sich wieder in der Höhle des Weltenbaums befand. Minutenlang lag sie schweigend in der Finsternis, konzentrierte sich auf den pochenden Schmerz in ihrer Hand und rief sich in Erinnerung, was geschehen war. Dann betastete sie ihren Kopf und fühlte eine schmerzende Beule an der Stelle, an der sie gegen die Wand der Baumhöhle geprallt war.
»Kommst du da vielleicht auch mal wieder raus?«, vernahm sie dumpf Jirils Stimme. »Ich schlage hier draußen langsam Wurzeln. Ein drittes Mal frage ich nicht mehr!«
Irgendetwas an seinem Tonfall kam Mira seltsam vor, doch sie konnte nicht heraushören, was. Mühsam stand sie auf und tastete sich durch die Dunkelheit. Am Ausgang der Baumhöhle angekommen, blinzelte sie ins grelle Tageslicht – und blieb wie angewurzelt stehen.
Jiril war nicht mehr allein, sondern befand sich in Gesellschaft eines Wachtrupps. Neben vier verschlafen dreinblickenden Stadtwachen gehörte auch ein hagerer, schwarz gekleideter Mann zur Gruppe, der ein Amtsträger zu sein schien und Mira an einen Totengräber erinnerte. Ihm zur Seite stand eine Art Sekretär, der eine Ledertasche mit Schriftrollen bei sich trug.
Während Jirils überraschter Blick Mira verdeutlichte, wie furchtbar sie aussehen musste, stand der Anführer des Wachtrupps für einen Augenblick stramm. Dabei salutierte er und rief: »Bassal Diala, Kommandant der Wacheinheit Osttor. Verhaltet Euch ruhig, bleibt im Licht und versucht nicht davonzufliegen oder Euch zu vergraben!« Er wandte sich um und fügte hinzu: »Eintrag ins Vollzugsprotokoll: Das strafwürdige Subjekt hat das Sanktuarium soeben verlassen und ist nun uneingeschränkt sichtbar. Können das alle Anwesenden bestätigen?«
Der Rest des Trupps salutierte zustimmend, lediglich Jiril schwieg und sah in einer Mischung aus griesgrämig und fassungslos zu Mira empor.
»Ausgezeichnet«, befand der Wachkommandant. »Dürfte ich die Delinquentin nun bitten, den Tatort zu verlassen und sich in Gewahrsam zu begeben?« Argwöhnisch beobachtete er, wie Mira – die verletzte Hand an den Körper gepresst – aus der Baumhöhle kletterte und von zwei Wachen in Empfang genommen wurde. Dann gab er dem Fremden in der schwarzen Amtstracht ein Zeichen: »Sittenrichter, die Scheltrede!«
Der Angesprochene trat vor, setzte sich eine Zwickelbrille auf die Nase und ließ sich von seinem Büttel eine Schriftrolle übergeben. Er überflog den
Weitere Kostenlose Bücher