Das Aion - Kinder der Sonne
war. Seine Arme würden beim Aufprall brechen wie dünne Zweige. Doch der Schutzinstinkt war stärker als die Vernunft. Zwanzig Meter vor der Barriere schloss Ben die Augen. Im Geiste erwartete er einen Einschlag wie in eine Betonmauer – und war überrascht, als dieser ausblieb.
Statt der alles beendenden Kollision kam es Ben vor, als würde der Rigger in eine dünne, elastische Gummiwand rasen, bis ihr zunehmender Widerstand ihn völlig abgebremst hatte. Nachdem das Luftkissenboot daraufhin für eine Sekunde zum Stillstand gekommen war, wurde es wieder aus der Barriere herauskatapultiert und mit der gleichen Geschwindigkeit zurückgeschleudert, in der es hineingerast war. Wild um die eigene Achse rotierend, schredderte der Rigger über teils hüfthohe Felsbrocken, woraufhin große Stücke der Gummischürze einfach weggerissen wurden. Metall kreischte, als der Rumpf auf dem Boden aufsetzte und Dutzende von Metern ungefedert über Stock und Stein rumpelte, wobei er sich weiter drehte. Die Fliehkräfte schleuderten loses Gepäck und ungesicherte Ausrüstungsgegenstände aus dem Innenraum und verstreuten sie in alle Winde. Als das Luftkissenboot endlich zum Stillstand kam und die Turbinen heulend den Geist aufgaben, wusste Ben, dass sie diesmal für immer verstummt waren. Der Rigger hatte seine letzte Fahrt beendet.
Nachdem schließlich die Antriebsrotoren erstarben, herrschte eine beinahe schon gespenstische Stille. Das einzige Geräusch war das leise Rauschen des Steppengrases im Wind. Ben lauschte eine Weile mit geschlossenen Augen, dann sah er sich um. Irgendetwas an der ganzen Szenerie kam ihm merkwürdig vor. Er ließ seinen Blick über die Savanne streifen, beobachtete, wie die Halme unter den Böen auf und ab wogten – dann fiel es ihm endlich auf: Der Wind wehte aus Richtung der Barriere!
Ben kletterte aus dem Rigger und schritt durch die Schneise, die das gestrandete Luftkissenboot ins hohe Gras geschlagen hatte. Kein diffuses Leuchten oder Wallen markierte die Barriere, ebenso wenig eine undurchdringliche Nebelwand. Viel mehr war es, als hätte man das Ende der realen Welt und aller Materie erreicht. Die Landschaft wurde innerhalb weniger Meter langsam transparent und verblasste schließlich völlig. Dahinter befand sich einfach – nichts. Das Paradoxe daran war: Dieses Nichts besaß einen Horizont und sogar eine Farbe – ein dezentes Aquamaringrün.
Ob es eine Widerspiegelung des Meeres war, von dem der Doktor erzählt hatte? Niemand konnte bis zum heutigen Tag erklären, was die äußere Barriere wirklich war, warum sie existierte und was dahinterlag. War es tatsächlich nur ein endloser Ozean oder vielleicht eine unbegreifliche Dimension, die menschliche Sinne nicht wahrzunehmen vermochten?
Ein Priester des Instituts hatte sie einst mit Gottes Willen verglichen: in ihrem Wirken absolut und doch ungreifbar, wie ein kosmischer Platzhalter für eine Idee, die Gott noch nicht erdacht hatte …
Doch woher kam der Wind?
Ben streckte prüfend die Hände aus. Als er weder Schmerz noch Widerstand fühlte, machte er einen Schritt nach vorn und trat in die Barriere.
Wieso waren Sonne und Mond, Sterne und Wolken zu sehen, wenn man vor ihr stand und zum Horizont blickte? Warum nur der Himmel und das Firmament, aber weder Boden noch Landschaft?
Ben tat einen weiteren Schritt. Nun war der Widerstand tatsächlich fühlbar. Seine Bewegungen funktionierten nicht mehr flüssig, die Luft wirkte wie eine zähe Masse, deren Einatmen zunehmend schwerer fiel, fast so, als wäre sie ein dicker Brei. Nach einem weiteren Schritt musste Ben bereits Kraft aufwenden, um sich zu rühren. Ein faustgroßer Stein, den er mühsam nach vorn zu schleudern vermochte, flog gemächlich davon, wobei er immer langsamer wurde. Einige Meter entfernt, wo das Atmen wahrscheinlich kaum mehr möglich sein durfte, sank er schließlich wie in Zeitlupe zu Boden.
Ben sah empor in den Himmel. War die Barriere womöglich eine Grenze aus erstarrter Zeit?
Auf dem Rückweg zum Luftkissenboot sammelte er einige der über Bord gegangenen Taschen und Boxen ein. Dann koppelte er Delius vom Rigger ab und ließ ihn rebooten. Nach ein paar Minuten begann sich der Roboter schließlich wieder zu regen.
»Warum haben wir angehalten?«, fragte er und sah sich um. »Haben wir einen weiteren Defekt?«
»Du hast offensichtlich einen Defekt!«, antwortete Ben, während er die Ausrüstung auf Schäden kontrollierte. »Und wir haben deswegen ein
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