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Das Aion - Kinder der Sonne

Das Aion - Kinder der Sonne

Titel: Das Aion - Kinder der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Szenerie war falsch. Die Entfernungen schienen nicht zu stimmen, und die Blüten wiegten wie in Zeitlupe hin und her – viel zu langsam, um vom Wind bewegt zu werden. Mira fühlte eine flüchtige Berührung an ihrer Stirn, zweimal, dreimal, wie ein sanftes Tupfen. Sie hob den Blick, um das vermeintliche Insekt zu erspähen – und glaubte ihren Augen nicht zu trauen: Über ihr schwebte ein leuchtend blauer Fisch! Er war so groß und so flach wie ihr Handteller und starrte sie aus starren Glupschaugen an. Erst jetzt wurde Mira das allzu Offensichtliche bewusst: Sie atmete Wasser!
    Schmerzhaft kehrten die Erinnerungen zurück: an die Gesichter der Schläfer im Speicherbecken, an die unerbittliche Kraft, die sie hinab in die Tiefe gerissen hatte, an die Dunkelheit – dann an nichts mehr.
    Tot, flüsterte eine leise, aber mächtige Stimme in ihrem Kopf. Du bist tot!
    Mira hatte ihre Finger in den sandigen Boden gegraben und starrte mit weit aufgerissenen Augen hinauf in einen flirrenden grünen Himmel, der nichts anderes sein konnte als die ferne Wasseroberfläche. Sie wollte sich vom Boden lösen und emporschwimmen, aber das Entsetzen lähmte sie. Minutenlang blickte sie aus weit aufgerissenen Augen hinauf ins Licht, unfähig, sich zu rühren. Es war der blaue Fisch, der den Bann schließlich brach. Er tauchte direkt vor Miras Gesicht auf und berührte mit seinen Lippen ihre Nasenspitze. Sogleich entfernte er sich ein Stück, als wolle er das Mädchen nun aus der Distanz betrachten, dann schwamm er wieder hinab und machte sich erneut über ihrer Nasenwurzel zu schaffen.
    Mira hob eine Hand und betastete vorsichtig ihre Stirn. Der Verband musste sich im Wasser gelöst haben und von der Strömung davongetragen worden sein. Dort, wo Jumper sie mit der Schleuder erwischt hatte, ertastete sie jedoch keine Wunde. Ihre Haut war vollkommen unversehrt.
    Mira setzte sich auf und blickte sich um. Wie der Boden des Speicherbeckens sah ihre Umgebung nicht gerade aus. Sie hatte mehr Ähnlichkeit mit dem Grund eines der tiefen Wüstenseen. Allerdings schmeckte das Wasser nicht salzig, sondern – Mira sah den Fisch irritiert an – nach Minztee? Im Grunde war es egal, ob sie nun Seewasser oder Tee atmete, beides zu können war alles andere als normal. Sie sah hinauf zu den tanzenden Lichtreflexionen. Ob sie überhaupt noch fähig war, Luft zu atmen? Bis zur Wasseroberfläche, so schätzte Mira, waren es mindestens zehn Meter. Sie erhob sich und ging ein paar Schritte über den Grund, dann stieß sie sich ab und schwamm dem Licht entgegen.
    Im Nu hatte sie die Hälfte der Distanz überbrückt, bis sie auf einmal das Gefühl hatte, kaum noch voranzukommen. Es war fast, als schwimme sie gegen eine unsichtbare Strömung an, die von Meter zu Meter stärker wurde. Je heftiger sie dagegen ankämpfte, desto wütender und verzweifelter wurden ihre Bewegungen. Als die Oberfläche zum Greifen nahe schien, gab das Wasser seinen Widerstand plötzlich auf. Von ihren kraftvollen Schwimmzügen emporgetrieben, durchstieß Miras Kopf die Oberfläche. Einen Moment lang starrte sie mit weit aufgerissenen Augen in einen grellen, wolkenlosen Himmel, dann schlug sie schützend die Hände vors Gesicht. Wären ihre Lungen nicht mit Wasser gefüllt gewesen, hätte sie vor Schmerz geschrien. So jedoch sank sie nur stumm zurück in die Tiefe. Mira unternahm keinerlei Anstalten, erneut aufzutauchen; selbst dann nicht, als ihre Füße längst den Grund berührt hatten. Zusammengekauert wartete sie, bis der Schmerz nachgelassen hatte, um die geblendeten Augen schließlich vorsichtig wieder zu öffnen.
    Der Tod, Prinzessin, hatte Bausch einst über das Sterben philosophiert, der Tod macht vergesslich …
    Mira massierte ihre Augen, während der blaue Fisch aufgeregt ihren Kopf umkreiste. Das Mädchen scheuchte ihn mit einer fahrigen Handbewegung fort, beachtete ihn jedoch nicht weiter. Offenbar hatte er sich in Miras langes, wallendes Haar vernarrt, das ihren Kopf unter Wasser umflorte wie schwarzes Seegras. Jedenfalls ließ er sich nicht vertreiben.
    Als sie ein zweites Mal empor ins Licht schwamm, tat sie es weitaus bedächtiger, sodass ihre Augen sich an die zunehmende Helligkeit gewöhnen konnten. Als sie den Kopf schließlich aus den Wellen steckte, war das, was sie sah, ebenso ernüchternd wie erschreckend: So weit das Auge reichte, gab es nichts als Wasser.
    Das hieß, Moment mal …
    Mira kniff die Augen zusammen. In der Ferne war kurz etwas zu erkennen

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