Das Aion - Kinder der Sonne
gewesen, das ausgesehen hatte wie eine mächtige Sanddüne. Mira trat auf der Stelle, wobei sie versuchte, ihren Kopf so hoch wie möglich zu halten. Als die helle Hügelkuppe erneut auftauchte, bestand kein Zweifel mehr: Ein paar Kilometer entfernt erhob sich eine Insel! Mira fiel ein strahlender blauer Punkt auf dem Scheitel der Düne auf. Er sah aus wie ein Spiegel, der das Sonnenlicht reflektierte. Als das nächste Wellental wieder einen Blick auf die Insel erlaubte, war das Licht jedoch verschwunden.
Erschöpft vom Schwimmen tauchte Mira unter und ließ sich langsam wieder auf den Grund hinabsinken. Dabei bemerkte sie etwas, das ihr beim ersten Auftauchen entgangen war: Von oben betrachtet sah das Blumenfeld nicht mehr aus wie ein Feld, sondern fast wie eine Straße aus blauen Blüten. Sie begann dort, wo das Mädchen erwacht war, und schlängelte sich auf die Insel zu.
Mira wartete, bis ihre Füße den sandigen Boden berührten. Dann stieß sie sich vom Grund ab und katapultierte sich über den Blütenteppich hinweg meterweit durchs Wasser – in Richtung der geheimnisvollen Insel …
Azur verbarg sich hinter dem Dünenkamm und blickte hinab auf die Wellen. Im Grunde war es völlig unsinnig, sich zu verstecken, denn Azur war unsichtbar – zumindest, seit das Oberflächenwesen auf ihn aufmerksam geworden war. Für einen kurzen Augenblick hatte er sich ablenken lassen und dem Meer den Rücken zugewandt – und ausgerechnet diesen Moment hatte das Oberflächenwesen genutzt, um den Kopf noch einmal aus dem Wasser zu stecken. Unschlüssig, ob es ihn dabei tatsächlich gesehen hatte, blieb Azur in seinem Versteck sitzen und studierte die Wellen. Erst als er überzeugt war, dass das Oberflächenwesen kein drittes Mal auftauchen würde, ließ er sich langsam wieder sichtbar werden. Geflissentlich strich er seinen blau schimmernden Mantel glatt und ging unruhig auf der Düne auf und ab, wobei sein Blick prüfend über den Sand wanderte. Dann las er zwei der kleinen, auf der Insel verteilten Echsen auf und platzierte sie ein Stück weiter hangabwärts, wo das Oberflächenwesen sie besser sehen konnte, sobald es das Wasser verließ. Doch dort regte sich nichts. Als Azur bereits mit dem Gedanken spielte, hinab zum Strand zu laufen, nahm er vor der Insel endlich eine Veränderung wahr. Unter Wasser bewegte sich etwas – und es näherte sich langsam dem Ufer.
Schritt für Schritt schwebte Mira durch die Blumen, darauf bedacht, keine der seltsamen Wasserpflanzen zu verletzen. Da es ihr zu mühsam gewesen war, in voller Montur zu schwimmen, hatte sie ihre Manteltaschen kurzerhand mit Sand gefüllt, um mehr Gewicht zu gewinnen. Erst da war ihr aufgefallen, dass sie ihre Schleuder nicht mehr bei sich trug. Wahrscheinlich hatte Mira sie bereits verloren, als sie im Speicherbecken versunken war. Lediglich zwei Kiesel steckten noch in ihren Taschen.
Nachdem sie sich mit dem Verlust abgefunden hatte, war sie der Blumenstraße in immer seichteres Wasser gefolgt, bis der blaue Fisch irgendwann hinter ihr zurückgeblieben war, fast so, als hätte er eine imaginäre Grenze erreicht. Wenn Mira nach oben blickte, konnte sie bereits den Himmel erkennen. Manchmal vollführte sie zeitlupenhafte Sprünge oder zog sich einfach nur mit den Händen über den Boden voran – so wie jetzt, als das Wasser immer flacher wurde und der Sog der Brandung sie immer wieder meterweit mitriss. Als Mira sich schließlich erhob, reichte ihr das Wasser gerade noch bis zu den Hüften. Zügig lief sie auf das nahe Ufer zu. Kaum hatte sie den Strand erreicht, fiel sie auf die Knie und presste das Wasser aus ihren Lungen. In einem dicken Strahl kam es aus ihrem Mund geschossen und versickerte im Sand. Als Mira schließlich zum ersten Mal wieder Luft holte, bekam sie prompt einen Hustenanfall. Sie hatte völlig vergessen, wie leicht es war, einzuatmen …
Sobald der Husten vorbei war und der Schmerz in ihren Lungen nachgelassen hatte, erhob sie sich auf wackeligen Beinen. Nach der Schwerelosigkeit des Wassers schien es Mira, als würde ihr Körper das Zehnfache wiegen. Vor allem der nasse Mantel hing an ihr wie eine Bleihülle. Sie zog sich aus und wrang das Wasser aus ihren Kleidern. Da es weder Bäume noch Büsche gab, breitete sie die nassen Sachen im Sand aus, um sie trocknen zu lassen. Dabei fiel ihr auf, dass ihr Körper keinen Schatten warf.
Suchend legte Mira den Kopf in den Nacken, doch am Himmel war keine Sonne zu sehen. Das unbestimmte
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