Das Aion - Kinder der Sonne
Gefühl, beobachtet zu werden, ließ sie hinauf zum Dünenkamm blicken. Auf dem Grat war niemand zu sehen, lediglich zwei Echsen starrten reglos zu ihr herab. Mira ließ ihren Blick über das Wasser schweifen, dann wieder hinauf zur Düne. Schließlich sammelte sie alles bis auf den Mantel auf, schüttelte den Sand heraus und zog sich wieder an. Die Kleider würden früher oder später auch an ihrem Körper trocknen.
Fröstelnd wanderte Mira eine Weile den Strand entlang, lief mal nach da, mal nach dort, ohne recht zu wissen, wohin. Schließlich entschied sie sich für eine Richtung, in der Hoffnung, vielleicht einem anderen Menschen zu begegnen. Das Einzige, worauf sie jedoch irgendwann stieß, waren ihre eigenen Fußspuren an der Stelle, von der aus sie losgelaufen war. Innerhalb weniger Stunden hatte sie die gesamte Insel umrundet.
Erneut hatte Mira das Gefühl, als würden unsichtbare Blicke auf ihr ruhen. Dennoch war weit und breit niemand zu sehen außer Echsen und einer Schlange am Strand, die auf der Jagd nach ihrer Schwanzspitze ununterbrochen im Kreis herumkroch. Mira lief zum Fuß der Düne. Bis hinauf zum Kamm waren es mehr als einhundert Meter. Prüfend setzte sie einen Fuß in den Sand, um seine Stabilität zu testen, dann begann sie die Düne hinaufzuklettern. Auf dem Grat angekommen, sah sie sich atemlos um. Von hier oben konnte sie fast die gesamte Insel überblicken. Nirgendwo stand ein Baum oder ein Strauch, ja, nicht einmal ein Grashalm reckte sich aus dem Sand. Ebenso wenig entdeckte Mira Fußspuren, die einen heimlichen Beobachter verraten hätten. Es gab nur Sand und auffällig viele Reptilien, die sich zudem auffällig träge verhielten. Dennoch hatte Mira das Gefühl, als halte sich jemand – oder etwas – in ihrer unmittelbaren Nähe auf und studiere aufmerksam jede ihrer Bewegungen. Und damit meinte sie keinesfalls die lethargischen Echsen.
Der Horizont sah eigenartig aus. Mira konnte nicht sagen, was an ihm nicht stimmte, doch je länger sie ihn betrachtete, desto schwindeliger wurde ihr. Allerdings war er nicht die einzige Seltsamkeit dieser Welt. Seit Mira die Insel betreten hatte, mussten Stunden vergangen sein, doch es war weder heller noch dunkler geworden. Am Firmament schien keine Sonne, sodass eine Himmelsrichtung ebenso wenig zu bestimmen war wie eine ungefähre Tageszeit. Mira vermisste zudem immer mehr warme Farben. Wohin sie auch blickte war alles blau, grün oder weiß. Selbst ihre eigentlich goldbraune Haut besaß einen bläulichen Schimmer.
Auf der Suche nach dem Grund ihrer Unruhe begann Mira schließlich kreuz und quer über die Insel zu wandern. Dabei stieß sie jedoch wiederum nur auf Echsen und Schlangen. Die Reptilien unternahmen keinerlei Anstalten zu fliehen, sodass Mira sie mühelos mit der Hand auflesen konnte. Ahnungsvoll riss sie einer der Echsen die Schuppenhaut vom Leib. Darunter kam zum Vorschein, was sie insgeheim befürchtet hatte: ein mechanisches Endoskelett aus Metall. Im Gegensatz zu ihren Ebenbildern aus Fleisch und Blut verhielten sich diese Roboter jedoch so stumpfsinnig, als wären sie lediglich zur Dekoration der Insel erschaffen worden. Achtlos ließ Mira die gehäutete Echsenattrappe zu Boden fallen und sah sich um. Sand, Sand, wohin sie auch blickte, nichts als Sand.
Deprimiert sah Mira sich um, dann schlenderte sie missmutig zurück zum Strand.
Nachdem das Oberflächenwesen hinter der Düne verschwunden war, bückte sich Azur nach dem Beutetier und hob es am Schwanz in die Höhe. Die Beschädigungen der Reptilienhülle waren gravierend und Azur vermochte weder Sinn noch Zweck der Zerstörungen erkennen. Aus irgendeinem Grund verhielt sich das Oberflächenwesen nicht so, wie es sich seinen Studien zufolge hätte verhalten sollen. Vielleicht stimmte etwas nicht mit den Beutetieren, die er sorgsam auf der Insel verteilt hatte, überlegte Azur. Oder lag es womöglich an der Luft?
Argwöhnisch blickte er hinauf zum Dünenkamm, denn das Menschenmädchen tauchte offensichtlich gerne unerwartet ein zweites Mal auf, sobald er für einen Moment nicht aufpasste. Doch auf dem Grat regte sich nichts. Seufzend reparierte Azur das Reptil und setzte es wieder in den Sand. Dann blickte er fast Hilfe suchend empor in den Himmel. Es führte wohl kein Weg daran vorbei, mit dem Oberflächenwesen persönlich Kontakt aufzunehmen, um dessen anormales Verhalten zu ergründen. Azur fühlte sich jedoch alles andere als wohl bei dem Gedanken, derjenige zu sein,
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