Das Aktmodell
Eine tiefe, samtene Dunkelheit erwartet mich. Ich weiß, dass es keine gute Idee ist, in ein dunkles Loch zu springen, das mich ins Niemandsland bringen kann. Das hätte ich mir allerdings überlegen sollen, als ich anfing, mir dieses ganze verrückte Abenteuer auszudenken. Da ich das versäumt habe, habe ich keine andere Wahl. Entweder ich springe, oder ich werde von dem wütenden Mob in Stücke gerissen. Mein Körper versteift sich bei der Vorstellung, dass mehr als ein gieriger Kerl in mich eindringen könnte.
“Springt doch endlich, Mademoiselle”, drängt die gleiche Stimme aus der Tiefe des Kellers. “Springt!”
Ich höre das Klirren von zerbrochenem Glas, als eine Kugel die hängende Öllampe trifft. Jemand schießt auf mich! Ich hole noch einmal tief Luft, springe … und lande unverletzt auf etwas, das sich wie ein großes Weinfass anfühlt. Ich kann fast nichts sehen. Vorsichtig meinen Weg in der Finsternis suchend, lasse ich meine Beine über den Rand baumeln. Nur ein kleiner Lichtschein winkt mich weiter in die Dunkelheit. Bevor meine Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnen können, umweht mich eine kühle Brise, und ich halte den Atem an. Ich rieche starken Alkohol.
“Schließt die Falltür, Mademoiselle, bevor uns jemand hier unten findet und wir gemeinsam zur Hölle fahren”, befiehlt die männliche Stimme. Er nuschelt etwas ungeduldig, aber ich kann ihn dennoch verstehen.
Ich werfe die Kellertür zu und verschließe sie mit einem Hebel von innen. Dann konzentriere ich mich auf die verhüllte Gestalt in dem Umhang, die eine Kerze in der einen Hand hält und in der anderen einen Stock.
Paul Borquet.
Ich grinse. Nie zuvor war ich so glücklich.
“Ich habe Euch schon mein Leben zu verdanken, Monsieur.” Unsere Blicke treffen sich, und ich beginne zu verstehen, wieso meine Hormone bei ihm immer verrückt spielen. Vom ersten Augenblick an war ich sowohl von seinem Charme als auch seinem Schwanz wie magisch angezogen.
“
Mais non
, Mademoiselle, eigentlich müsste ich Euch danken. Eure Schönheit inspiriert mich, erfüllt mich mit Leidenschaft zu malen.”
Wir sehen uns an, und in diesem atemlosen Augenblick erkenne ich, dass er mehr ist als ein mysteriöser Superheld in einem schwarzen Umhang und hautengen Hosen. Wir sind Künstler und Modell. Gemeinsam sind wir ein Kunstwerk, das noch genau definiert werden muss und das jenseits von Zeit und Verstand liegt.
Ich lehne mich an ihn, und er streichelt meinen Hals. Seine Finger lösen die Verschnürung meines Umhangs, dann hält er inne. Ich fühle seinen Genuss und noch etwas anderes.
Angst. Wir sind noch nicht außer Gefahr.
Während ich an meiner Lippe nage, frage ich: “Wie habt Ihr mich gefunden?”
“Keine Zeit für weitere Fragen, Mademoiselle”, antwortet der Künstler. Das Licht zaubert einen Heiligenschein um seinen Kopf, als er seine Hand nach mir ausstreckt.
“Nehmt meine Hand. Wir müssen uns beeilen. Es wird nicht lange dauern, bis diese Bestie Renard den Boden aufreißt, um nach Euch zu suchen.”
Seine starken und muskulösen Hände greifen nach meinen, und das zitternde Kerzenlicht zeigt mir den Weg, den wir zu gehen haben. Er rafft seinen Umhang und geleitet mich durch einen gewundenen Tunnel, der gerade hoch genug ist, um auf allen vieren hindurchzukriechen. Den Mantel fest um mich gewickelt, folge ich ihm. Sand rieselt von der Decke auf meinen Kopf und meine Nasenspitze. Ich orientiere mich an seinem knackigen Hintern. Bei David habe ich auch viel Zeit auf meinen Knien verbracht, aber der Anblick war nicht halb so gut wie dieser jetzt.
Ohne eine Warnung flackert die Kerze und geht aus. Ich gerate in Panik, aber anstelle von vollkommener Dunkelheit werde ich in der Ferne von einem Sonnenstrahl begrüßt. Ich schaue nach oben. Der Weg aus dem Tunnel führt durch einen alten trockengelegten Brunnenschacht, in dessen Wände verrostete Eisenringe und schmale Stufen eingelassen sind.
“Ich habe diesen Geheimweg viele Male benutzt, wenn meine Lust auf die Muschi einer Frau von meiner Gier nach Alkohol überrollt wurde”, erzählte der Künstler amüsiert. “Jede scharfe Kante dieser Steine ist wie ein alter Freund für mich.” Er klatscht in die Hände und beugt sich nach vorn, um mir nach oben zu helfen.
“Nach Euch”, drängt er mich.
Ich hebe meine Augenbrauen. “Damit Ihr mir dann einen Finger in meinen Allerwertesten stecken könnt?”
“Ihr seid sehr scharfsinnig, Mademoiselle.”
“Nicht so
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