Das Aktmodell
habe ich für den Doktor eine Überraschung vorbereitet, um ihn von mir fernzuhalten.
Docteur Bourges hat mir versichert, dass ich nur blaue Flecke hätte und keine Knochen gebrochen seien. Der Schlag gegen meinen Kopf, als ich fast von den Pferden überrannt worden wäre, sei auch nichts Schlimmes. In ein paar Wochen würde ich wieder gesund sein. Ich bräuchte nur etwas Ruhe und Fürsorge.
Das kostet natürlich Geld, was der Madame überhaupt nicht gefällt. Sie hat sogar gedroht, mich vor die Tür zu setzen. Ich hätte eine Witzfigur aus ihr gemacht, beschuldigt sie mich, weil ich unverantwortlich gehandelt habe und dem Lord weggelaufen sei.
Der Engländer hat damit gedroht, den Ruf der Madame zu ruinieren und ihr keinen Sou mehr zu zahlen, ganz egal, mit welchen Verlockungen sie ihn in Zukunft umgarnen werde.
Am Schlimmsten war zunächst, dass ich im Augenblick weder als Modell noch als Prostituierte arbeiten kann und sie aus dem Grund an mir auch keine Kommission verdient. Nichts für die ganze Zeit und das Geld, das sie für mich ausgegeben hat.
Sie hatte kein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken, mich ins
Hôpital de la Charité
zu stecken, bis eines Tages Paul vor der Tür stand und darauf bestand, für meine Arztkosten aufzukommen. Nicht mit Geld, aber mit seinem Bild von mir.
“Lasst mich jeden Tag vorbeikommen, damit ich mein Bild fertig malen kann, Madame Chapet”, insistierte er. “Ihr dürft es dann anschließend verkaufen, und der Profit gehört Euch.”
Erst da, lächelnd und im Kopf schon die Summen addierend, änderte sie großzügig ihre Meinung und ließ mich bei ihr bleiben.
Wieso auch denn nicht? Zwanzig Francs für jede Visite des Doktors. Ein halbes Monatsgehalt für die Mädchen im Bordell. Madame Chapet kann für das Bild sicherlich hundertmal oder sogar zweihundertmal so viel Geld bekommen, wenn sie es verkauft. Ganz Paris spricht von nichts anderem als von meiner gewagten Flucht aus der Kutsche des Engländers. Sogar der
Pariser Echo
, eine Publikation, die eine regelmäßige Kolumne über die halbseidenen Damen von Paris unterhält, berichtete über mich.
“Ah,
la publicité
, das Wasser, das meine Blumen zum Blühen bringt”, war der Kommentar von
La Madame.
Sie stellte für mich eine unfreundliche, ungesund aussehende Krankenschwester ein, um mich im Auge behalten zu können. Aber bereits nach einer Stunde hatte ich sie hinausgeworfen.
Ich bestand darauf, von Delphine gepflegt zu werden. Ich habe diese kleine Näherin schätzen gelernt und erfreue mich an ihrem fröhlichen Wesen. Sie ist nur ein einfaches Mädchen aus einer Bauernfamilie. Sie kam in dieses Haus, weil sie nicht wusste, was sie sonst machen sollte. Ein liebreizendes Mädchen, das gern lacht. Nur vor Madame Chapet hat sie Angst, und deshalb war es nicht so leicht für mich, sie davon zu überzeugen, ihr Talent als Näherin zu meiner Hilfe einzusetzen.
Ohne eine bestimmte Melodie zu summen, bewege ich mich vor und zurück und genieße die Morgenluft, die meine Haut sanft kühlt. Plötzlich stelle ich fest, dass ich nicht mehr allein im Zimmer bin.
“Träumt Ihr von Monsieur Borquet, Mademoiselle?”
Es ist Delphine, die ihre Augen zusammengekniffen hat und mich mit ihrem elfenhaften Lächeln ansieht. Hinter ihrem Rücken hält sie etwas versteckt.
“Ist das so offensichtlich, Delphine?”
“
Mais oui
, Mademoiselle Autumn”, sagt Delphine und macht nun meinen Akzent nach. “Paul … du bist so schöööön.” Sie kichert. “
Ah, merci
, Paul, du bist sooooo nett.” Noch ein Kichern. “Was für einen großen Ständer du hast …”
“Ihr habt gestern gelauscht, Ihr kleines Miststück”, ziehe ich sie auf.
“Ich bin nur rein zufällig vorbeigekommen, und ein kleiner Windhauch hat mir diese Worte ins Ohr geflüstert, Mademoiselle.”
Delphine versucht betont unschuldig zu wirken.
“Dieser kleine Windhauch hat Euch nicht zufällig auch erzählt, wohin Madame Chapet heute Morgen gegangen ist? Gepudert und aufgedonnert wie ein ausgestopfter Pfau?”
“
Mais non
, leider nicht, Mademoiselle Autumn. Sie hat niemandem erzählt, wohin sie geht. Aber ich habe gehört, wie sie etwas von einem neuen Kabarett in Montmartre erzählt hat.”
Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Wahrscheinlich geht es um neue Anwärterinnen für das Bordell.
“Monsieur Borquet ist heute Morgen noch nicht aufgetaucht”, sage ich. “Ich mache mir Sorgen, Delphine.”
“Er kommt bestimmt noch, Mademoiselle. Ich
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