Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
anderen Ende des Kirchenschiffs war mit einem Durchlass versehen, durch den man gebückt gerade so gehen konnte und der angeblich Rückenleiden heilen konnte. Ein richtiger Kreuzgang, im wahrsten Sinne des Wortes. Lagerfeld, Newman und Haderlein krochen erst durch ihn hindurch, dann auch unter und selbst über das Grab. Ein Buch allerdings fanden sie nicht. Erst als alle drei erschöpft neben dem Grab des heiligen Otto standen, vor Rückenschmerzen stöhnten und Habermehl verständnissuchend ansahen, meldete sich dieser wieder zu Wort.
»Sind Sie jetzt fertig?«, fragte der Professor grinsend. »Jetzt seien Sie doch nicht so ungeduldig und schalten bitte einmal Ihr Gehirn ein, ja? Natürlich werden Sie das Buch hier nicht finden. So einfach hat es uns das junge Genie nicht gemacht. Und jetzt kommen Sie wieder da runter, bitte, Sie werden sich sonst noch wehtun.«
Kleinlaut versammelten sich alle wieder um den Professor.
»So, jetzt passen Sie mal auf. Gleich haben wir es.« Habermehl legte den Zettel auf den Boden der Kirche und zückte einen Bleistift. Dann fing er an, Buchstaben abzuzählen, und schrieb einen nach dem anderen unter Clemens’ Text. Als er fertig war, nickte er voller Bewunderung. Ob über sich oder über Clemens, konnte man nicht so genau sagen. »Gut versteckt, Clemens, wirklich gut versteckt. Gerade gut genug für mich.«
Die anderen drei schauten hilflos auf die Buchstabenfolge, die der Professor notiert hatte.
»Und was hat das zu bedeuten?«, machte Dr. Newman, dem die Kirchen nicht ganz geheuer waren, zum ersten Mal den Mund auf. Die Gotteshäuser lösten unangenehme Erinnerungen aus. Seit dem Schulausflug damals war er nicht mehr hier gewesen.
Habermehl pochte mit dem Bleistift auf das Papier. »Aber das ist es doch. Können Sie es denn nicht sehen?«
Der tote Bischof von Rom
Begraben in Ludwigs Dom
Im Hort mit dem Garten am Fluß
Zertreten von schwedischem Fuß
3 – 3
1 – 20
2 – 17
1 – 8
4 – 25
Auf Alchimie gelegt als Laster
Der Tod aus Eisen und Alabaster
H M S B F
»Die erste Ziffer bezeichnet die Zeile des Textes, eins bis sechs, von oben nach unten. Die zweite Zahl die Stelle im Satz, an welcher der Buchstabe steht, den wir nach Clemens zu notieren haben.«
»Und was heißt das jetzt?«, Lagerfeld war mittlerweile nicht nur ungeduldig, sondern auch genervt. »Das ergibt doch schon wieder kein vernünftiges Wort. H M S B F ? Der will uns doch nur verarschen!«
»Natürlich scheint das für den Laien keinen Sinn zu machen«, meinte Habermehl. »Aber Clemens legte diese Spur für jemanden mit Sinn für Kirchenhistorie.«
»Ja, aber – wo zum Teufel ist jetzt das Buch?«, fragte Dr. Newman, dem überhaupt nicht mehr wohl in seiner Haut war. Die Kirche versank langsam im Dunkel der Nacht.
»Nun, wenn ich mich nicht völlig irre, ist der Hinweis jetzt relativ eindeutig. Ich weiß, wo Clemens das Buch versteckt hat. Er war in Eile, er war verzweifelt, und er war allein. Doch trotz allem war er noch in der Lage, dieses geniale Versteck in einem Rätsel zu verklausulieren. Das Buch ist dort«, sagte Habermehl schlicht und deutete nach links in das dunkle Seitenschiff der Michaelskirche.
»Dort? Aber wo?«, fragte Haderlein.
»Kommen Sie mit«, forderte Habermehl ihn auf. Im immer düsterer werdenden Seitenschiff blieb er vor einem über vier Meter großen Steinrelief stehen. »Sehen Sie hier«, sagte er und deutete auf den Sockel des Epitaphs, auf dem groß und deutlich » H M S B F « eingemeißelt war.
»Hans Matthes Sebert. Er baute dieses Epitaph für Melchior Otto Voit von Salzburg, dem mutmaßlichen Gründer der Universität Bamberg. Und jetzt kommt das Beste, der letzte Beweis.« Habermehl kniff die Augen zusammen, um im letzten Licht die untersten Zeilen auf dem Blatt lesen zu können. »Passen Sie gut auf! ›Auf Alchimie gelegt als Laster / der Tod aus Eisen und Alabaster‹: Schauen Sie genau hin, da haben Sie Ihren Tod aus Alabaster.«
Alle folgten seinem Blick nach oben. Auf Kopfhöhe war ein Skelett auf dem Epitaph zu sehen, das mit Draht zusammengehalten wurde. Der Schädel des Skeletts lag auf einer Alabasterkugel, die mit fremdartigen, alchemistischen Schriftzeichen verziert war.
»Wahnsinn«, sagte Dr. Newman. »Alchemistische Schriften in einer katholischen Kirche. Und wo ist jetzt das Buch?«
»Tja, ach ja, das Buch. Irgendwo da oben wird es wohl sein, wenn ich mich nicht völlig irre.« Der Professor lächelte zufrieden.
»Das
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