Das Albtraumreich des Edward Moon
von … Tumulten im
Börsenviertel. Von Straßenkämpfen. Bränden und Krawallen. Es hört sich an
wie …« Der Junge schluckte. »Wie eine Invasion.«
Ungerechterweise fiel Dedlock über Moon her. »Man
hat Sie reingelegt! Zwei Wochen! Sie blutiger Narr! Es fängt bereits heute an!«
Merryweather brüllte los. »Schicken Sie alle
Männer, die wir haben, dorthin!
Alle!
«
Moon war entsetzt. »Sie verkennen die
Größenordnung! Diese Leute sind bewaffnet bis an die Zähne! Merryweather, Sie
lassen Knüppel und Pfeifen gegen eine Armee antreten!«
Der Inspektor fluchte. »Wir hätten darauf
vorbereitet sein sollen.« Er wandte sich an Dedlock. »Wie viele Männer können
Sie aufbringen?«
»Zwanzig. Dreißig vielleicht, auf die wir wirklich
zählen können.«
»Zwanzig, dreißig!«, rief Moon. »Mein Gott, man
wird sie hinschlachten!«
Dedlock sah aus, als hätte er Angst. »Es tut mir
leid …«, flüsterte er. »Ich habe keine Macht mehr.«
Moon wandte sich zur Tür. »Tun Sie, was Sie
können. Ich gehe dorthin zurück.«
Merryweather stellte sich ihm in den Weg. »Edward,
Sie können das alles nicht alleine aufhalten!«
»Aber der Schlafwandler ist bei ihnen. Und meine
Schwester auch. Ich bin es den beiden schuldig, alles zu versuchen.« Er drückte
die Hand des Inspektors und drängte sich an ihm vorbei. »Viel Glück.«
Er verließ den Yard im Laufschritt und bewegte
sich wieder auf das Herz der Stadt zu.
Keine Droschke wollte ihn auch nur in die Nähe des
Schauplatzes bringen. So war er gezwungen, einen zweirädrigen Wagen zu mieten
und selbst dorthin zu kutschieren, wobei er wie ein Wahnsinniger durch die
Straßen jagte, ohne sich auch nur im Geringsten um die Schäden zu kümmern, die
er dabei anrichtete. Doch als er sich den Tumulten näherte, behinderten in
Panik geratene und fliehende Menschenmengen seinen Weg, und bald ging es nicht
mehr weiter. So ließ er das Gefährt zurück und rannte zu Fuß der Katastrophe
entgegen.
Als ich aus der King-William-Street-Station
trat, den Präsidenten an meiner Seite, erblickte ich etwas, das nur wenigen je
vergönnt ist: die Verwirklichung meines sehnlichsten Traumes, die Erfüllung
meiner größten Hoffnung.
Brände waren gelegt worden, und der Himmel wurde
von scharlachroten Feuergarben erhellt, die selbst im wässrigen Licht des
Morgens noch leuchteten – eine anarchistische Guy-Fawkes-Szenerie, nachdem
er die Pulvermine hochgejagt hatte. Die Fußsoldaten von
Love
, die
Getreuen der Kirche des Sommerkönigreichs, strömten durch die Straßen und
ließen Gerechtigkeit widerfahren, wo immer sie konnten, ergötzten sich an ihrer
Freiheit und an den epochalen Veränderungen, die sie über die Stadt bringen
würden.
Der Morgen war kalt, unser Hauch dampfte in der
Luft wie Rauchschwaden, und zu meinem Erstaunen sah ich, dass die Atemluft
meines Gefährten lebhaft grün gefärbt schien – etwas, das ich zu diesem
Zeitpunkt unklugerweise als eine durch das Licht hervorgerufene Sinnestäuschung
oder als leichtes Halluzinieren abtat, verursacht durch Überarbeitung und die
Erregung des Augenblicks. Der alte Mann an meiner Seite blickte mit trüben
Augen um sich, verwirrt von all dem Lärm, all der Raserei. »Ned?«, fragte er
hoffnungsvoll.
»Ja«, log ich, »ich bin hier.«
»Was geht da vor?«
»Kommen Sie mit mir. Wir brauchen einen besseren
Überblick.«
Ich nahm ihn an der Hand und führte ihn zum
Monument, wo wir über die Wendeltreppe nach oben gelangten. Leichtfüßig wie
eine Gazelle flog ich über die Stufen, war jedoch häufig gezwungen
innezuhalten, um dem Alten eine Pause zu gönnen. Den letzten Abschnitt des
Aufstiegs musste ich ihn streckenweise tragen, doch schließlich traten wir
hinaus ins Freie, um einen Montagmorgen zu erleben, wie es noch keinen gegeben
hatte – einzigartig in all den Jahrhunderten des langen Lebens der Stadt.
»O siehe und erkenne, mein Freund«, rief ich
(gewiss werden Sie mir unter diesen Umständen ein wenig Schwülstigkeit
nachsehen), »das Heraufdämmern des Sommerkönigreichs!«
Und von unserem Wren’schen Adlerhorst aus sahen
wir alles. Rauch stieg in gewaltigen Fahnen hoch, Kampfeslärm umtoste uns, und
die Luft war erfüllt von den Schreien der Sterbenden. Der Sterbenden? Ich
fürchte, ja. Wenn gegensätzliche Weltanschauungen auf dem Schlachtfeld
aufeinanderprallen, ist Blutvergießen unvermeidlich. Zweifellos halten Sie eine
solche Einstellung für roh, aber es gibt eben Menschen, denen jegliche
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