Das Albtraumreich des Edward Moon
Reaktion. Der unparteiische Beobachter
mochte es jedoch eher für das Betragen eines Mannes halten, dessen klarer
Verstand, ausgedörrt wie sonnenverbrannter Lehm, schließlich Risse bekam.
Während all dessen schläft der alte
Mann unter der Stadt.
Vielleicht sagt ihm ein Rest seines Bewusstseins,
dass in den Straßen da oben Veränderungen stattfinden, dass die Geschehnisse
auf ihren unvermeidbaren Höhepunkt zusteuern. Vielleicht weiß er sogar, dass er
sich bald aus seinem Schlummer erheben und der wachen Welt gegenübertreten
muss. Doch für den Augenblick bleibt er noch tief versunken in seinen Träumen.
Zuerst ist er wieder ein junger Mann – in der
Gesellschaft von Freunden, lange bevor einer von ihnen mit der harschen
Wirklichkeit des Lebens in Berührung gekommen ist. Southey ist bei ihm –
der liebe, gute Southey –, zu einer Zeit, die vor seinem Verrat und den
darauffolgenden Fehden liegt. Es sind ernste Gespräche, die die Freunde führen,
vielleicht etwas zu steif, aber typisch für ihre damalige Art.
Der alte Mann seufzt und bewegt sich, unangenehm berührt,
im Schlaf; er erinnert sich an glücklichere Zeiten.
Die jungen Männer reden über ihre Hoffnungen und
Ziele, über das große Experiment. Southey spricht schwärmerisch von einer
Bruderschaft, von ihren Plänen, auszubrechen und sich zu vervollkommnen.
Der Träumer sieht sich selbst lebhaft und mit
blitzenden Augen sprechen – über Dichtung und Metaphysik und die dringende
Notwendigkeit einer besseren Welt.
Susquehanna. Das Wort taucht ohne Vorwarnung auf.
Es hat keine Bedeutung für ihn, aber der Klang, der angenehme Rhythmus gefallen
ihm. Und so wiederholt er es bei sich: Susquehanna.
Dann erscheint Edith neben Southey und unterbricht
mit Kuchen und Wein das Gespräch; der alte Mann sieht, dass die Kluft zwischen
ihnen beiden sich bereits weitet. Sara streift im Vorbeigehen an ihn, und er
wird abgelenkt. Der Traum verlagert sich wieder.
Jetzt ist er alt, und seine Freundschaften sind
verdorrt wie Beeren an einer trockenen Ranke. Die Kompromisse des Alters haben
die klare Sicht seiner Jugend trübe und unscharf gemacht. Jetzt ist er ein ganz
anderer Mann, ein Mann, den die Klauen der Armut fest in ihrem Griff haben; und
er wird gequält von einem üblen Verlangen. Mit nacktem Oberkörper, die Hosen
bis unter die Knie hinabgezogen, sitzt er auf einem Abort, presst, angestrengt
und ächzend, ganz krank von dem Wissen, dass er sich diese Plage, diesen
hartnäckigen Widerstand seiner Eingeweide, selbst zugefügt hat – dass er
die alleinige Schuld an seinem Zustand trägt. »Mein Körper ist übergeschnappt«,
schreibt er, aber diese Zerrüttung ist das Ergebnis einer Vorliebe für Medizin,
Folge einer Torheit: der närrischen Leidenschaft für eine treulose Geliebte, in
deren Bann er sich zu lange befand. Er murmelt vor sich hin, während er
dasitzt, entwürdigend gekrümmt, und presst und drückt.
Schließlich kehrt er in die Mansarde in Highgate
zurück, zu Gillman und dem Jungen. Ned ist da, jetzt nicht mehr so jung. Er
streckt die Hand aus, und der alte Mann, fiebrig und dem Tode nahe, ergreift
sie. Er ersucht Gillman, sie beide allein zu lassen, und der Arzt respektiert
den Wunsch seines Patienten und gehorcht.
Jetzt, da ihm der Tod durch die Augen des Alten
entgegenblickt, scheint Ned keine Angst mehr vor ihm zu haben. Er möchte dem
Jungen erklären, wie viel er ihm bedeutet, will ihm sagen, dass er ihn wieder
zum Leben erweckt und seine Träume neu entfacht hat. Doch – überraschend
für jemanden, der stets so redegewandt gewesen war – er kann die rechten
Worte nicht finden. Er stottert eine Weile herum und begnügt sich dann damit,
die hingehaltene Hand zu drücken; aber er ist sicher, dass der Junge –
dieser besondere, auserwählte Junge –
es weiß.
Der Alte wird ihm
ein Vermächtnis hinterlassen; Ned soll sein Nachfolger werden, sein Erbe. Er
drückt die Hand und blinzelt ein paar letzte Tränen weg.
Im Schlaf ringt er nach Luft, wälzt sich unruhig
auf seiner eisernen Liege und weiß, dass das Ende nahe ist.
Wäre er in der Lage, den Ablauf der Zeit
wahrzunehmen, die genaue Chronologie seiner Gefangenschaft, dann wäre er
vielleicht daran interessiert zu erfahren, wie lange genau es noch dauert, bis
er erwacht.
Aber Ihnen traue ich das zu. Sie haben
es sich mittlerweile zusammengereimt, da bin ich ganz sicher.
Vier Tage. Vier Tage, bis der Traum zu Ende ist,
der alte Mann erwacht und die Stadt
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