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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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nahm den Kneifer von der Nase und steckte ihn in die
Jackentasche.
    »Du hast mir so gefehlt«, murmelte der Junge.
    »Aber jetzt bin ich ja da«, sagte sein Vater und
richtete sich fröhlich auf. »Hungrig?«
    Der Junge lachte. »ja! Ja! Ja!«
    Skimpole zauste ihm liebevoll das Haar und wollte
sich gerade auf den Weg in die Küche machen, als er unvermutet von einem
heftigen krampfartigen Schmerz in seinem Inneren überfallen wurde – einem
mörderischen ätzenden Ausbruch unerträglicher Pein, die ihm schier die
Eingeweide zerreißen wollte. Er biss sich fest auf die Unterlippe, um nicht laut
aufzuschreien, während er sekundenlang die entsetzlichste Höllenqual seines
ganzen Lebens durchlitt. Er dankte dem Himmel, als der Schmerz so rasch
verschwand, wie er gekommen war.
    Selbstverständlich hegte er keinen Zweifel, was
das zu bedeuten hatte. Das Gift hatte zu wirken begonnen.
    Halb von Sinnen vor Kummer und Angst brach Mister
Skimpole zu seiner eigenen Überraschung in Tränen aus. Gemartert von lautem
Schluchzen stand er in der Diele seines mittelmäßigen Heimes und vergoss heiße,
beschämende Tränen, während sein Sohn in stummer Verwirrtheit zu ihm
hochblickte.
    Meyrick Owsley war mit sich zufrieden.
Er hatte lange auf dies hier gewartet, hatte Tage und Stunden gezählt, hatte
gebetet und den Moment herbeigesehnt. Monatelang hatte er ausgeharrt, und jetzt
endlich war es soweit: Heute Abend würde er Barabbas zum letzten Mal lebend
sehen.
    »Sir?«
    Der Koloss lag zusammengesunken und fast nackt in
der Ecke seiner Zelle und suhlte sich in Sünde und Verworfenheit. Er hatte
seinen heimlich gehorteten Schatz aus dem Versteck in der Mauer geholt und etwa
ein Dutzend seiner Lieblingsstücke vor sich ausgebreitet – darunter Ringe,
Münzen und Moons Krawattennadel. »Willst du nicht reinkommen?«, murrte er ohne
auch nur den Kopf zu heben. »Ich bewundere nur meine Sammlung. Ein wenig Glanz,
kleine Prisen Schönheit in einer Welt aus Elend und Leid.«
    Owsley warf einen verächtlichen Blick auf das
magere Häufchen Tand. »Ich sorge dafür, dass das alles nach deinem Tod
wohltätigen Zwecken zugeführt wird.«
    »Mein Tod. Ist er also gekommen?«
    Owsley grinste. Plötzlich wirkte er hungrig und
grausam; herabgerissen war die Maske der Unterwürfigkeit. »Das könnte man so
sagen.«
    Ich fürchte, ich könnte, was Mister
Owsley betrifft, nicht ganz aufrichtig gewesen sein …
    Barabbas schien die Veränderung an
seinem Jünger nicht wahrgenommen zu haben. »Wann?«, flüsterte er.
    Owsley fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Jetzt.«
    Der Gefangene machte keinen Versuch
zurückzuweichen, sondern schob sich vielmehr nach vorne und scharrte über den
Boden, um seine Kostbarkeiten einzusammeln. Dann presste er sie an die
Fettwülste seiner Brust, die sich mühsam hob und senkte. »Also bist du es?«,
fragte er, obwohl er die Antwort schon kannte.
    »Ich, jawohl«, fauchte Owsley. »Und ich war es
immer!« Er beugte sich über Barabbas, umwabert von scheußlicher, schwarzer
Bösartigkeit. »Du hättest unser Angebot annehmen sollen! Du hättest den Himmel
auf Erden haben können. Stattdessen hast du dich für das hier entschieden.«
    »Ich habe meine Prinzipien«, murmelte Barabbas.
Fast im Plauderton fügte er hinzu: »Darf ich dich etwas fragen?«
    »Meinetwegen.«
    »Warum jetzt? Ich hatte gehofft, noch
mitzuerleben, wie alles ausgeht.«
    »Du hättest ihm nie dieses Buch geben dürfen.«
    »Edward wird dahinterkommen. Seine Fähigkeiten
reichen fast an meine heran.«
    Owsley lachte auf. Er zog ein langes dünnes
Skalpell aus der Jackentasche – ein leidenschaftsloses, tückisches
Präzisionswerkzeug des Todes. »Deine Bestrafung wurde festgesetzt«, knurrte er,
die Dramatik des Augenblicks auskostend. »Und sie lautet auf Tod.«
    Der Gefangene gähnte und bewegte träge eine feiste
Hand. »Dann fang an mit …«, begann er, doch noch ehe er den Satz beenden
konnte, stieß ihm Owsley mit wonnig zuckendem Gesicht das Messer tief in den
fetten Leib.
    Ein leises, nasses Blubbern entrang sich der Kehle
seines Opfers. Owsley drehte die Klinge im Fleisch, zog sie heraus und stieß
von neuem zu. Barabbas stöhnte auf; ein blutiges Rinnsal drang ihm wie Lava aus
dem Mund, färbte seine Lippen und Zähne dunkelrot und spritzte ihm übers Kinn.
    Immer noch am Leben flüsterte er seinem Jünger
etwas zu, das für Owsley selbst während all der zahllosen Male, die er diese
Szene geprobt und im Geist

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