Das Alexandria-Komplott
durchgeschmort, die Lenkschnecke der Steuerung war verbogen und griff kaum noch. Der Weg des Cord schien klar vorgezeichnet. Er schoß auf ein großes Skizentrum mit Restaurant zu, das an der Talstation des Sessellifts lag. Pitt konnte nur ständig hupen und versuchen, den Skifahrern auszuweichen, die zu ungeschickt waren, aus dem Weg zu fahren.
Die Frauen hatten der Zerstörung des letzten Mercedes neugierig und schadenfroh zugesehen, aber die Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Sie drehten sich um und starrten voller Entsetzen dem schnell näher kommenden Gebäude entgegen.
»Können wir nicht irgend etwas tun?« rief Hala verzweifelt.
»Ich bin für jeden Vorschlag dankbar«, erwiderte Pitt scharf. Er schwieg, während er sich verzweifelt darum bemühte, einem Kinder-Skikurs auszuweichen. Der Wagen raste eine Schneewehe hinauf und schleuderte um die Kinder herum. Die meisten der Skifahrer hatten den Unfall des Mercedes entweder gehört oder gesehen und setzten sich beim Anblick des hupenden Cord blitzschnell in Bewegung. Eilig strebten sie auf die Seite der Piste zu und sahen fassungslos den Cord vorbeischießen.
Von der Bergstation des Sessellifts war eine Warnung vor den außer Kontrolle geratenen Autos durchgegeben worden, und Skilehrer hatten die Gegend um die Talstation von den meisten Menschen räumen können. Rechts vom Après-Ski-Zentrum lag ein flacher, zugefrorener See. Pitt hatte gehofft, diese Richtung einschlagen und aufs Eis gleiten zu können. Die Eisdecke würde irgendwann einbrechen, der Wagen würde auf den flachen Grund sinken und so abrupt zum Stillstand kommen. Das Problem war nur, daß die Zuschauer, ohne dies zu beabsichtigen, eine Gasse gebildet hatten, die direkt auf das Restaurant zuführte.
»Ich nehme an, einen Plan fünf gibt es nicht«, bemerkte Giordino und krallte sich angesichts des bevorstehenden Zusammenstoßes fest.
»Tut mir leid«, gab Pitt zurück. »Das war's.«
Lily und Hala sahen hilflos und starr vor Entsetzen zu. Dann tauchten sie hinter die Trennwand im Rücken des Fahrersitzes, schlossen die Augen und hielten sich umklammert.
Pitt verkrampfte sich, als sie in einige lange Reihen von abgestellten Skiern und Stöcken hineinrasten. Die Skier wirbelten wie Zahnstocher durch die Luft. Einen Augenblick schien der Cord darunter vergraben zu sein, doch dann brach er durch und schoß die Zementtreppe hinauf, verfehlte das Restaurant und durchbrach krachend die Holzwand der Cocktail Lounge.
Der Raum war geräumt, bis auf den Klavierspieler, der verdattert vor seinen Tasten saß, und den Barkeeper, der sich für einen diskreten Rückzug entschied und blitzschnell hinter dem Tresen in Deckung ging, als der Cord, eine Woge von Tischen und Stühlen vor sich herschiebend, in den Raum platzte.
Das Auto raste fast noch durch die gegenüberliegende Wand – dann wäre er zwei Stockwerke tief hinuntergestürzt. Wie durch ein Wunder blieb der malträtierte Wagen jedoch abrupt stehen – der Schwung war verebbt –, und nur die schlimm verbogene vordere Stoßstange hatte die Wand durchbrochen. Die Cocktail Lounge sah aus, als hätte sie unter Artilleriebeschuß gelegen.
Atemberaubende Stille erfüllte den Raum; bis auf das Zischen des Kühlers und das Knacken der überhitzten Maschine war kein Laut zu hören. Pitt hatte sich den Kopf am Rahmen der Windschutzscheibe angeschlagen, und aus einem Riß in der Nähe des Haaransatzes strömte Blut über sein Gesicht. Er warf Giordino einen Blick zu. Al saß stocksteif da und starrte die Wand an. Pitt drehte sich um und musterte die beiden am Boden kauernden Frauen. In ihren Augen lag die verblüffte Frage: ›Leben wir noch?‹ – ihnen schien nichts passiert zu sein.
Der Barkeeper hockte noch immer – außer Sicht – hinter dem Tresen, deshalb wandte sich Pitt an den Klavierspieler, der wie in Trance auf einem dreibeinigen Hocker saß. Er trug einen karierten Hut, und die Zigarette, die aus seinem Mundwinkel baumelte, hatte nicht einmal die Asche verloren. Seine Hände lagen auf den Tasten, als sei er mitten im Spiel gestoppt worden. Er starrte die blutüberströmte Erscheinung an, die jetzt vor ihm auftauchte und ihn mit irrem Lächeln ansah.
»Entschuldigen Sie«, bat Pitt höflich. »Würden Sie bitte ›Fly me to the Moon‹ spielen?«
Dritter Teil
DIE ›LADY FLAMBOROUGH‹
19. Oktober 1991
Uxmal, Yucatan
30
U nter der vielfarbigen Flutlichtanlage erstrahlte das Mauerwerk des massiven Gebäudes in
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