Das Alexandria-Komplott
theatralischer Trick? Was führten die Amerikaner jetzt im Schilde? Die ungeheure Menschenmenge seiner Anhänger stand in atemloser Stille da und starrte den Römer an, als handele es sich um ein Phantom. Dann wandten sie sich langsam Topiltzin zu, gespannt, was ihr Messias jetzt tun würde.
Die ganze Sache ist ein Bluff, der mit Sicherheit nur der Verzweiflung entsprungen ist, dachte er. Die Amerikaner spielten ihre letzte Karte aus und versuchten seine abergläubischen, törichten Anhänger daran zu hindern, sich dem Schatz zu nähern.
»Könnte ein Trick sein, um Sie anzulocken und als Geisel benutzen zu können«, sagte einer seiner neben ihm stehenden Ratgeber.
In Topiltzins Augen spiegelte sich Verachtung. »Ein Trick, ja. Aber kein Entführungsversuch. Die Amerikaner wissen genau, daß dieser Mob durchdreht, wenn man mich bedroht. Der Plan ist leicht zu durchschauen. Abgesehen von diesem Dummkopf, dessen Haut ich zurück nach Washington geschickt habe, habe ich alle Bitten, mit den Beamten des Außenministeriums zu verhandeln, abgelehnt. Diese theatralische Geste ist einfach der Versuch, eine letzte persönliche Unterredung zu erreichen. Ich bin gespannt, was sie als Angebot auf den Tisch legen.«
Ohne ein weiteres Wort und ohne auf die Warnungen seiner Ratgeber zu hören, befahl er, die Sänfte herunterzulassen, und betrat die Erde. Die Spotlights folgten ihm, als er allein und selbstsicher den Berg hinaufstrebte. Unter dem Saum seiner Robe konnte man seine Füße nicht sehen, und er schien eher zu gleiten als zu gehen.
Er tastete nach einem Colt Python .357, den er unter seiner Robe in einem Gürtelhalfter trug. Der Sicherungshebel war zurückgelegt. Die andere Hand hatte er am Auslöser einer Rauchbombe, die orangefarbenen Rauch ausstieß und die ihm, wenn nötig, ein schnelles Entkommen sichern sollte.
Er näherte sich so weit, bis er deutlich erkennen konnte, daß es sich bei der Figur in dem römischen Legionärskostüm um eine Schaufensterpuppe handelte. Das Gesicht lächelte geistlos, und die aufgemalten Augen starrten ausdruckslos ins Leere. Die Hände und das Gesicht aus Plastik waren bereits vergilbt.
Auf Topiltzins Gesicht zeigte sich ganz unverhohlene Neugierde, als er sich die Puppe näher anschaute, aber in seinen Augen schimmerte auch Unbehagen. Er schwitzte heftig, die weiße Robe war zerknittert und wurde langsam feucht.
Dann trat ein hochgewachsener Mann in halbhohen Stiefeln, Baumwollhose und einem weißen Rollkragenpullover aus dem dunklen Dickicht in das strahlende Flutlicht. Er blinzelte, und die grünen Augen schimmerten kalt wie eine Eisscholle in der Arktis. Als er neben der Puppe angekommen war, blieb er stehen.
Topiltzin fühlte sich im Vorteil. Er verlor keine Zeit. Er sprach als erster in englischer Sprache. »Was wollten Sie mit dieser Puppe und der Lichtshow erreichen?«
»Ihre Aufmerksamkeit.«
»Mein Kompliment. Da haben Sie Erfolg gehabt. Wenn Sie nun freundlicherweise die Botschaft Ihrer Regierung übermitteln würden.«
Der Fremde sah ihn einen Augenblick lang an. »Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, daß Ihr Kostüm aussieht wie ein Bettuch nach einer Collegeparty?«
Topiltzins Ausdruck verhärtete sich. »Hofft Ihr Präsident, mich dadurch zu beleidigen, daß er mir einen Clown entgegenschickt?«
»Ich glaube, an dieser Stelle sollte ich sagen: Um einen Clown zu erkennen, muß man selbst einer sein.«
»Sie haben eine Minute Zeit, Ihr Anliegen vorzutragen –« Topiltzin schwieg und vollzog mit der Hand eine umfassende Geste – »bevor ich meinem Volk befehle, seinen Marsch fortzusetzen.«
Pitt drehte sich der anderen Seite des Berges zu und sah fragend auf das kilometerweite offene Land. »Marsch, wohin?«
Topiltzin ignorierte die Bemerkung. »Nennen Sie mir Ihren Namen, Ihren Titel und Ihre Stellung innerhalb der amerikanischen Bürokratie.«
»Mein Name ist Dirk Pitt. Mein Titel ist Mister Pitt. Meine Funktion ist Steuerzahler der Vereinigten Staaten, und Sie können sich geradewegs zur Hölle scheren.«
Topiltzins dunkle Augen blitzten auf. »Menschen, die dem, der zu den Göttern spricht, keinen Respekt erweisen, sind schon auf schreckliche Weise ums Leben gekommen.«
Pitt lächelte das gelangweilte Lächeln des Teufels, der vom Evangelisten bedroht wird. »Wenn wir uns schon unterhalten müssen, dann lassen wir am besten den ganzen Unsinn und die Drohungen. Sie haben die Armen von Mexiko mit Bühnenstückchen an der Nase herumgeführt und
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