Das Alexandria-Komplott
Sandaufhäufungen und Erosion, Erdbeben oder extreme Klimaschwankungen während der vergangenen 1.600 Jahre beträchtlich verändert haben. Kein Flußbett auf der Welt ist im Verlauf von tausend Jahren unverändert geblieben.
Pitt spürte das Prickeln der Herausforderung. Für einen Abenteurer riecht die Herausforderung, die in der Luft liegt, anregend wie eine aufreizende Frau und der Duft frischgemähten Grases nach dem Regen – eine süchtig machende, aufputschende Droge, die den Herausgeforderten schließlich gegen jeden Gedanken an Versagen oder die Gefahr immun macht. Und doch – hatte man das schier Unerreichbare gemeistert – wartete bereits der unvermeidliche Abgrund, der sich an jeden Erfolg anschloß.
Das im Vordergrund stehende Hindernis war der Zeitmangel, die Suchaktion durchzuführen. Das zweite Problem war das sowjetische U-Boot. Giordino und er waren die geeignetsten Kandidaten für die Leitung der Unterwasser-Bergungsaktion.
Pitts Gedanken wurden von der Stimme des Piloten im Lautsprecher unterbrochen, der bat, die Gurte anzulegen. Pitt beobachtete, wie der winzige Schatten des Flugzeugs vor den kahlen Bäumen auf dem Boden größer wurde. Braunes Gras flitzte vorbei und ging in Zement über. Der Pilot rollte von der Hauptlandebahn auf den Luftwaffenstützpunkt Andrews zu, bremste und kam neben einem Ford Taurus Stationwagen zum Stehen.
Pitt half Lily beim Ausstieg. Dann luden Giordino und er das Gepäck aus und verstauten es im rückwärtigen Teil des Taurus. Der Fahrer, ein athletischer junger Mann, hielt sich zurück, als habe er Angst, sich mit diesen beiden harten Burschen anzulegen, die die schweren Koffer und Segeltuchtaschen handhabten, als handele es sich um Federgewichte.
»Wie sieht der Terminplan aus?« fragte Pitt den Fahrer.
»Dinner mit Admiral Sandecker in seinem Club.«
»Admiral wer?« erkundigte sich Lily.
»Sandecker«, wiederholte Giordino. »Unser Boß bei der NUMA. Wir müssen irgend etwas goldrichtig gemacht haben. Kommt verdammt selten vor, daß er einen zum Essen einlädt.«
»Ganz zu schweigen von einer Einladung in den John Paul Jones Club«, fügte Pitt ehrfürchtig hinzu.
»Exklusiv?«
Giordino nickte. »Ein Heimathafen für rostige alte Flottenoffiziere mit Bilgenwasser in der Blase.«
Als der Fahrer endlich in eine ruhige Wohnstraße in Georgetown einbog, war es schon dunkel. Fünf Blocks weiter ließ er den Wagen in eine Kieseinfahrt rollen und hielt unter dem Portiko eines roten Ziegelhauses aus der viktorianischen Ära.
Ein kleinwüchsiger Mann in maßgeschneidertem Seidenanzug mit Weste kam ihnen quer über den Teppich, der in der Empfangshalle lag, entgegen. Sein Schritt war schnell, energiegeladen, und die fließenden Bewegungen erinnerten an eine Katze, die zum Angriff übergeht. Das mahagonirote Haar paßte zu einem peinlich korrekt gestutzten Van-Dyke-Bart. In seinen Augen lag kompromißlose Härte.
Admiral James Sandecker gehörte ganz und gar nicht zu den Menschen, die sich in einen Raum hineinstahlen; er nahm ihn im Sturm.
»Schön, daß ihr wieder da seid, Jungs«, rief er in einem Ton, der eher dienstlich als freundlich klang. »Soviel ich höre, könnte eure Entdeckung des antiken Schiffes dazu führen, daß die Geschichtsbücher umgeschrieben werden müssen. In den Medien wird die Sache jedenfalls gewaltig hochgespielt.«
»Wir hatten Glück«, erklärte Pitt. »Darf ich Ihnen Dr. Lily Sharp vorstellen. Lily, Admiral Sandecker.«
In Gesellschaft einer attraktiven Frau strahlte Sandecker wie ein Honigkuchenpferd, und Lily beeindruckte ihn ganz besonders. »Doktor, Sie sind sicher die hübscheste Dame, die diese Wände je erblickt haben.«
»Ich bin erfreut, daß Ihr Club Damen in keinerlei Weise diskriminiert.«
»Das liegt bestimmt nicht daran, daß die Mitglieder so weltoffen sind«, stellte Giordino hinterhältig fest. »Die meisten Frauen würden lieber eine Schlaftablette nehmen, als hierherzukommen und den alten Schlachtrössern zuhören zu müssen, wie sie den Krieg noch mal gewinnen.«
Sandecker warf Giordino einen vernichtenden Blick zu.
Lily sah verblüfft von einem zum anderen. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, mitten in eine uralte Fehde geraten zu sein.
Pitt mußte sich zusammennehmen, um nicht laut herauszuplatzen, doch ein Lächeln konnte er nicht unterdrücken. Diesen Schlagabtausch beobachtete er jetzt bereits seit zehn Jahren. Jeder, der den beiden nahe genug stand, wußte, daß Giordino und Sandecker enge
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