Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
Helene.
»Schon klar, geh nur. Halt, warte noch kurz. Wie wär’s demnächst mit einem weiteren Abendessen?«
47
Justin lag mit hochgelagertem Bein und Natasha neben sich im Bett. Matt ließ er seine Lernunterlagen sinken; seine Augen waren erschöpft vom vielen Lesen. Zwei Mal schaltete er sämtliche Fernsehprogramme durch. Als er immer noch nichts fand, das ihn interessierte, wechselte er stattdessen auf den DVD-Player, in den eine Disk mit mehreren Sendungen seiner Mutter eingelegt war.
Sofort stachen ihm die Worte »Apokalyptische Jugend« ins Auge. Dies war die Sendung, die seine Mutter beim Abendessen erwähnt hatte.
Justin hatte schon darüber reden gehört, dass die Welt wegen eines Nuklearkriegs oder aufgrund der außer Kontrolle geratenden globalen Erwärmung enden würde. Sogar Filme hatte er darüber gesehen, aber ihm waren noch nie uralte Prophezeiungen zu Ohren gekommen, die eine Zeit vorhersagten, in der die Erde, wie er sie kannte, verschwinden und von einem neuen Himmel und einer neuen Erde ersetzt werden würde – wo Gott mit seinem Volk leben würde.
Das klang nach einem Fantasyabenteuer mit Hobbits und Gnomen. Vor allem konnte er sich kaum ein seltsameres Thema für die Sendung seiner Mutter vorstellen – es schien noch verrückter als der Transexuelle, der zu einer Frau geworden war, um einen Mann zu heiraten.
Seine Mutter befragte gerade einen der jungen Studiogäste.
»Wie steht Ihre Kirche zu anderen Religionen?«, wollte sie wissen.
»Also, zum einen sind wir keine Kirche«, erwiderte der Gast. Auf dem Bildschirm stand unter ihm der Name ›John Turner‹.
»Was dann?«
»Wir sind eine Studiengruppe. Wir glauben, dass es sich bei der Bibel um das übertragene Worte Gottes handelt, deshalb treffen wir uns, um darüber zu diskutieren und um zu lernen, um uns auf das Ende vorzubereiten, sozusagen. An sich halten wir uns für typische junge New Yorker, aber ich schätze, wir verkörpern schon eine Neuheit.«
»Womöglich hat Mom Recht«, meinte Justin zu Natasha, die sich in seinen Armen eingerollt hatte. »Vielleicht sind sie wirklich verrückt.«
»Dann sagen Sie mir«, forderte Helene den Mann auf, »wie stehen Sie als New Yorker Neuheit zu anderen Religionen? Sie sind eindeutig der Überzeugung, dass man an Jesus glauben muss, um gerettet zu werden. Lassen wir also politische Korrektheit mal beiseite: Kommen Juden demnach in den Himmel oder nicht?«
Eine Frau namens Katrina ergriff das Wort. »Die Juden sind unbestreitbar das von Gott auserwählte Volk – das waren sie schon immer und werden sie immer sein. Vielleicht hat Jesus die Juden damals nicht gerettet, um es jetzt zu tun. Ich weiß es nicht. Davon kann man halten, was man will.«
»Das klingt blasphemisch für meine Ohren«, meinte Helene.
»Es fällt mir schwer, keine Parallelen zwischen der Ankunft des Messias und der zweiten Ankunft Jesu zu ziehen«, mischte sich ein Mann namens Ezra ins Gespräch. »Wir sollten nicht vergessen, dass die frühen Christen allesamt Juden waren, aber viele Juden hatten erwartet, dass der Messias als Gott kommen würde, nicht als Mensch. Wenn Jesus auf die Erde zurückkehrt, wird er es laut der Bibel in voller Pracht auf Wolken tun, und dann bekommt jeder, was er erwartet.«
Justin schlug den hinteren Teil der Bibel seiner Großmutter auf und begann, einige Begriffe nachzuschlagen.
Im Hebräischen bedeutete das Wort ›Messias‹ soviel wie ›der Gesalbte‹. Es stammte vom Begriff Mashiach ab, der auf Griechisch ›Christos‹ oder auf Deutsch ›Christ‹ entsprach.
Auf dem Bildschirm fuhr Helene fort. »Menschen, die Jesus nicht für Christus halten, meinen, wenn er wirklich Gott sei, hätte er sich vom Kreuz befreien sollen.«
Das Telefon klingelte. Justin hob ab, ohne die Anruferkennung zu überprüfen. Der Klang von Samanthas Stimme ließ ihn zusammenzucken.
»Schneidest du mich etwa?«, fragte sie.
»Natürlich nicht. Es geht mir nur gerade nicht besonders gut.«
»Geh mal zu deinem Fenster.«
»Betrachten Sie es mal so«, ergriff Ezra das Wort. »Vielleicht musste Gott seinen Sohn als Menschen entsenden, damit er aus erster Hand den Schmerz, das Leiden, die Freude und die Verlockungen erfuhr, die wir durchmachen, damit er besser verstehen konnte, wie es uns der freie Wille gestattet, uns so leicht von ihm abzuwenden.«
»Aber ein allwissender Gott hätte das doch bestimmt bereits verstanden, oder?«, hielt Helene dem entgegen.
»Ich bin im Bett«, sprach Justin
Weitere Kostenlose Bücher