Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
Geheimdienstinformationen wurden laufend erfasst. Sämtliche bekannten, verdächtigen Personen waren aufgegriffen worden und wurden unter dem einen oder anderen Vorwand festgehalten. Über die ganze Stadt verteilt befanden sich hochwirksame Strahlungs- und Toxinsensoren, die, zumindest theoretisch, jegliche waffentaugliche Substanzen erkennen würden, die in ihre Reichweite gelangten. Außerdem standen Mannschaften geschulten Personals zum Soforteinsatz bereit, gedrillt auf rigoroses Durchgreifen und blitzschnelles Erkennen jeder möglichen Situation im Falle eines Anschlags.
Wir suchen uns unsere Feinde nicht aus , dachte Robert. Sie suchen sich uns aus – und es gibt absolut nichts, was wir dagegen tun können. Es würde immer Schlupflöcher geben; wenn der Feind sie nutzte, konnte dies eine Katastrophe bedeuten. Aber Robert wusste, dass weder eine chemische Waffe noch eine radioaktive Bombe an einem verregneten, windigen Tag die maximale Wirkung erzielen würden, die Terroristen vorschwebte.
Mit etwas Glück würden die großen Neuigkeiten in Sachen Verbrechen an diesem Tag nicht aus der Ecke der Vereinten Nationen, sondern aus der Polizeizentrale stammen, wo gerade ein Mann im Mordfall Archibald Claiborne verhört wurde.
Robert starrte durch den Einwegspiegel auf einen hageren, mitleiderregenden Abklatsch eines Verdächtigen. Dieser Handwerker, der in Claibornes Gebäude gearbeitet hatte – ein kleiner Dieb – wurde wegen eines blutigen Mordes verhört, der über sein Verbrecherpotenzial hinauszugehen schien. Robert suchte in seinen Augen nach Spuren von Bösartigkeit, an seiner Körperhaltung und seinen Gesten nach Anzeichen darauf, dass er zu der Kaltblütigkeit fähig wäre, die dieser Mord bedingt hatte.
Patrick Seafores langes, schmutzigblondes Haar hing ihm ins Gesicht. Die ihn verhörenden Beamten umkreisten seinen Stuhl und bombardierten ihn mit Fragen. Dabei schlugen sie in regelmäßigen Abständen auf den abgewetzten Metalltisch, an dem der Verdächtige saß. In der Gegenwart der beiden stämmigen Beamten wirkte er klein, beinah zierlich. Seafore stützte die Ellbogen auf den Tisch und ließ die Stirn auf die Hände sinken; er weinte. Einer der Beamten brüllte ihn an: »Wir wissen, dass Sie es waren! Warum verraten Sie uns nicht den Grund?«
»Lassen Sie mich in Ruhe«, schrie der Mann. »Ich war es nicht. Ich schwöre, ich habe noch nie jemanden umgebracht.«
Die Polizei konnte es kaum erwarten, die Ermittlungen zu beenden und den Mordfall sauber abzuschließen. Robert fürchtete nur, dass sich der Verlauf etwas zu sauber gestaltete.
Er beobachtete weiter Seafores Körpersprache, seine Angst, seine Niedergeschlagenheit, sein wiederholtes Leugnen.
Polizeichef Lario gesellte sich zu Robert. Er stand unter erheblichem politischen Druck, dieses scheußliche Kapitel möglichst rasch zu beenden.
»Er sieht mir nicht wie der Typ Verbrecher aus, der in der Lage ist, so etwas durchzuziehen«, meinte Robert.
»Das tun sie nie. Keine Bange. Seine Fingerabdrücke sind überall in der Wohnung. Und nicht zu vergessen – er hat früher in Vermont gearbeitet und dort eine Menge Holz gehackt, ist also äußerst versiert im Umgang mit einer Axt. Seiner Behauptung zufolge hat er den ganzen Abend in Apartment 9F gearbeitet. Er hat das Gebäude gegen 23 Uhr verlassen, was ihm reichlich Zeit für die Tat gegeben hätte.«
»Und wo waren die Besitzer von 9F?«
»Nicht in der Stadt. Der Pförtner hat ihn reingelassen. Außerdem hat er ihn in Claibornes Wohnung gelassen, wo er sich um einen undichten Wasserhahn kümmern sollte, aber zu dem Zeitpunkt war niemand im Apartment, und der Pförtner blieb die ganze Zeit dabei.«
Robert beobachtete, wie die Beamten ihren beklagenswerten Verdächtigen bearbeiteten. Sie gingen geschickt vor, wechselten zwischen Drohungen und Mitgefühl, versprachen ihm Strafmilderung, wenn er nur endlich die Wahrheit zugäbe, die sie bereits zu kennen glaubten. Einer der Beamten bot ihm Kaffee an; Seafore schniefte unter Tränen.
»Was denken Sie?« Robert schaute zu Lario. »Warum hätte er die Kameras abschalten sollen, wenn er sich bereits im Gebäude befand?«
»Um die Axt reinzubringen. Zur Tür konnte er nicht damit reingehen. Er muss sie irgendwo in der Nähe versteckt gehabt haben und losgegangen sein, um sie zu holen, als er den Strom ausknipste. Er kannte die Anordnung der Wohnung. Wahrscheinlich hat er an die Tür geklopft, sich als der Handwerker vorgestellt, der zuvor
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