Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
»Wollen Sie mich beide zum Narren halten? Ich kann mit diesem Mann nicht auf Sendung gehen. Das ist Betrug. Was glauben Sie eigentlich, was für eine Sendung ich mache?«
»Beruhigen Sie sich, Helene, und lassen Sie es mich erklären«, forderte Dr. Viviee sie auf.
»Was erklären? Dass er ein Außerirdischer ist? Das ist absurd. Niemand wird glauben, dass dieser Mann – ihr ›Kindermädchen‹ – fünfundneunzig Jahre alt ist.« Helene fühlte sich einer Panik nahe.
»Lass ihn reden«, meldete sich Claire zu Wort. »Lass ihn reden, Helene.«
»Na schön, schießen Sie los.«
»Mr. Teng war seit meiner Geburt mein Kindermädchen. Davor war er bei meinem Vater. Nach dessen Tod blieb er bei mir. Mittlerweile verkörpert er die einzige Familie, die ich habe. Vor etwa zehn Jahren haben wir erfahren, dass er Lungenkrebs hatte. Mr. Teng hat sein Leben lang geraucht, und letztlich hat es ihn eingeholt. Es gab keine angemessene medizinische Versorgung in China, deshalb beschlossen wir, das Risiko einzugehen, obwohl meine Arbeit damals noch in einer sehr rudimentären Phase steckte. So wurde Teng Hao Li der erste Mensch, der diese Behandlung erhielt. Zu dem Zeitpunkt dauerte es noch ein wenig länger, bis die Wirkung einsetzte; inzwischen haben wir ein paar Verbesserungen hinzugefügt.« Fast schüchtern lächelte er und nickte in Tengs Richtung. »Im Verlauf der Zeit hat sich gezeigt, dass nicht nur die Krebszellen repariert, sondern auch alle anderen Zellen verjüngt werden. Die Menschen scheinen jünger zu werden. Offenbar pendelt sich die Wirkung im mittleren Alter ein, je nach Alter des Patienten, in dem er den Nanochip verabreicht bekam, aber Sie sehen ja, dass es tatsächlich so ist.«
»Ihr Nanochip heilt nicht nur Krebs, sondern ist zugleich der Jungbrunnen?«, fragte Helene ungläubig. »Wollen Sie mir das damit sagen?«
»Haargenau. Wenn alles unverändert bleibt, wird Ihre Mutter Sie überleben.«
»Dr. Viviee, das ist mir zu viel auf einmal!«
77
Ein donnernder Krach ertönte, und eine Explosion erschütterte die virtuelle Stadt.
»Ja!«, brüllte Justin, obwohl das Wort VERLOREN auf dem Fernsehbildschirm und auf seinem GamePad Pro erschien. Zum ersten Mal war Justin auf dem digitalen Battle Ultimo -Kanal bis zu Spielstufe 15 von 20 vorgerückt, wodurch er in die Liste der 100 besten Spieler kam. Er genoss seinen Erfolg; getrübt wurde er nur dadurch, dass Madeline nicht hier war, um ihn mitzuerleben. Sie war noch in der Schule, während er aus seinem verletzten Knöchel die letzten freien Tage herausquetschte.
Eine leichte Schwellung war noch erkennbar, und wenn er zu viel herumlief, setzten Schmerzen ein, daher hatte er technisch gesehen immer noch Bettruhe – unter der Bedingung, dass er lernte. Würde seine Mutter ihn dabei ertappen, dass er Battle Ultimo spielte, könnte er sich auf etwas gefasst machen. Aber er hatte den ganzen Tag gelernt, und hin und wieder brauchte man ein wenig Abwechslung.
Tatsächlich konnte er schon wieder relativ gut laufen und hatte angefangen, mit einem Stock zu üben, damit er nicht mit den Krücken in die Schule musste. Er griff nach seinen Lernunterlagen, entschied sich dann aber doch erneut für Battle Ultimo . Das Spiel lenkte ihn von den beunruhigenden Gefühlen ab, von denen er sich nicht zu befreien vermochte.
In seinem Kopf hörte er widerstreitende Stimmen und wusste nicht, wie er sie zum Schweigen bringen sollte. In seinem Innersten spürte er, dass seine Visionen real waren, doch ihm war natürlich klar, dass seine Gewissheit völlig absurd war. Allmählich begann er, seinen Verstand anzuzweifeln. Er spielte schon mit dem Gedanken, seiner Mutter zu sagen, dass er mit irgendjemandem über »Teenagerprobleme« reden möchte. Das würde ihr gefallen! Käme ihr Sohn auf sie zu, um von sich aus darum zu ersuchen, seinen Gefühlen bei jemandem Ausdruck zu verleihen, der ihm professionell helfen könnte, würde es sie in einen wahren Freudentaumel versetzen. Es würde alles für richtig erklären, worauf sie je hingearbeitet hatte; und bestätigen, dass sie eine großartige Mutter war, die ihren Sohn zu einem aufgeschlossenen, empfindsamen jungen Mann erzogen hatte, der sich nicht scheute, sich seinen Gefühlen zu stellen. »O Mann«, murmelte er bei sich. »Unter keinen Umständen gehe ich dorthin. Sie würde es der ganzen Welt erzählen, und es bliebe ewig an mir hängen.« Außerdem war er nicht davon überzeugt, ob diese Psychiater ihre
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