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Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel

Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel

Titel: Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Valoppi
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betreiben oder zu meditieren oder so. Es ist wirklich erstaunlich. Wie Botox. Anscheinend entspannt es die Gesichtsmuskeln.«
    Eine Studioassistentin steckte den Kopf zur geöffneten Tür herein. »Ihre Gäste sind da«, verkündete sie Helene.
    »Oh, schicken Sie sie herein«, bat diese die junge Frau und setzte sich auf. Rasch zog sie sich das Stirnband vom Kopf, das ihr während des Auftragens des Make-ups die Haare aus dem Gesicht hielt, und betrachtete sich im Spiegel. Dabei fiel ihr all das Make-up auf, das sich auf der Ablage vor ihr aneinander reihte – so viele Farben und Texturen, die alle so aufgetragen wurden, damit es aussah, als trüge sie sehr wenig davon. Helene wusste, dass Make-up, und zwar reichlich, im Fernsehen eine Notwendigkeit darstellte, doch an diesem Tag fragte sie sich, wann die dicke, professionell aufgetragene Schicht angefangen hatte, so tief in die Linien und Fältchen in ihrem Gesicht einzusinken. Sie fuhr sich mit den Ringfingern unter den Augen entlang, um letzte Unebenheiten zu glätten, und trug noch rasch frischen Lippenstift auf. Damit zufrieden, dass alles getan war, was getan werden konnte, entfernte sie die Schürze, die ihre Kleider bedeckte, und stand auf, um Dr. Viviee zu begrüßen.
    Seine schwarze, chinesische Jacke aus Seide bauschte sich und gab elegant die rote Satinauskleidung preis, während er, wie Helene fand, geradezu triumphierend ging. Sie bewunderte sein Selbstvertrauen zu einem Zeitpunkt, zu dem die meisten Gäste versuchen würden, angespannte Nerven zu beruhigen. Schließlich wusste niemand, was genau sie erwartete; dies war Live-Fernsehen.
    Unter der Jacke trug er eine dunkelgraue Flanellhose und konservative, schwarze Ferragamo -Schnürschuhe. Sein Haar hingegen war zu lang, um es als konservativ zu bezeichnen; es hing ihm auf eine Weise über ein Auge, die Helene nur als verführerisch beschreiben konnte. Sie konzentrierte sich so sehr auf Dr. Viviee, dass ihr der Mann kaum auffiel, der neben ihm ging.
    Dieser war eher klein, auf jeden Fall unter einen Meter siebzig, und wirkte gebrechlich. Er ging langsam und gebückt mit einem Stock – er schien von Osteoporose zerfressen. Ein langer, grauer Bart reichte ihm fast bis zu den Knien. Er trug eine traditionelle, schwarze chinesische Mütze, ein weites Hemd und eine gleichermaßen weite Hose. Margie führte ihn zu einem Stuhl und half ihm, sich zu setzen. Er holte tief Luft, dann fasste er unter sein Hemd und löste zwei Haken eines Schultergeschirrs. Langsam begann er, sich aufzurichten, bis er letztlich vollkommen gerade saß.
    »Darf ich Ihnen Teng Hao Li vorstellen?«, sagte Dr. Viviee dramatisch. »Mein männliches Kindermädchen.«
    »Oh«, entfuhr es Helene. »Spricht er unsere Sprache?«
    »Ja, Ma’am«, ergriff Teng das Wort. Er stand auf, faltete die Hände und verbeugte sich von der Hüfte aufwärts.
    »Du meine Güte!«, rief Helene aus. Der Mann stand problemlos aufrecht – auch ohne seinen Stock. Helene spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte.
    »Verzeihen Sie die Täuschung«, sagte Teng. »Aber das ist ein notwendiges Übel, um durch den Zoll zu gelangen.«
    Der Auftritt fing gerade erst an. Der alte Mann zog sich den langen Bart vom Gesicht, der mit Hautkleber befestigt gewesen war. Dann nahm er seine kleine, dunkle Brille ab, hinter der stechende, lebhafte Augen zum Vorschein kamen, und löste zwei hässliche Hautprothesen, die um Nase und Mund tiefe Falten vorgegaukelt hatten. Anschließend holte er aus der Hosentasche ein weißes Tuch hervor und wischte sich das Gesicht ab. Auf der weißen Baumwolle blieb ein gräulicher Rückstand zurück.
    Claire beobachtete ihn vom Schminkstuhl aus aufmerksam.
    Als er zu guter Letzt seine Mütze abnahm, trat darunter ein dichter Schopf schwarzer und grauer Haare zu Tage. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich der gebrechliche Greis in einen vor Leben sprühenden Chinesen mittleren Alters verwandelt.
    »Ich bin verwirrt«, sagte Helene, der es nicht gelang, ihre Verärgerung zu verbergen. »Ich dachte, sie wollten ihr männliches Kindermädchen mitbringen.«
    »Das ist Mr. Teng auch«, erwiderte Dr. Viviee nüchtern.
    »Erklären Sie mir das«, forderte Helene ihn auf. »In diesem Land kümmern sich Kindermädchen um Kinder, nicht um Erwachsene.«
    »Mr. Teng, bitte sagen Sie Ms. Cummings, wie alt Sie sind.«
    »Madam, ich bin fünfundneunzig Jahre alt.«
    Das konnte nicht wahr sein. »Ach, machen Sie sich nicht lächerlich«, fauchte Helene.

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