Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
war, kam immer nur das Alltagsgeschirr auf den Tisch.
»Jetzt beruhige dich doch!« Weiter kam Laureen in der Regel nicht, denn ihre Schwägerin brach in Tränen aus. Schwitzend und unablässig redend saß sie Laureen mit verquollenem Gesicht gegenüber.
»Warte nur!«, schluchzte Bridget. »Das kann dir genauso gut passieren!«
Laureen nickte unbestimmt.
Der Wunsch nach Veränderung oder Abwechslung regte sich bei Bryan und Laureen nur äußerst selten, das wussten beide.
Aber im Moment, das sagte ihr die Intuition, stimmte irgendetwas ganz und gar nicht.
Laureen hatte im Lauf der Jahre gelernt, wie man geschäftliche Projekte am besten anpackte. Zuallererst musste man sich Informationen über den Markt, die Konkurrenz, die Kunden,die Kosten und den Bedarf beschaffen. Und genauso würde sie auch auf der privaten Ebene diese Angelegenheit zwischen sich und Bryan angehen müssen.
Den Bedarf glaubte sie zu kennen. Den Rest musste sie erst noch herausfinden.
Bryans Sekretärin sah Laureen entgeistert nach, als diese mit einem energischen Nicken an ihr vorbeirauschte und Ken Fowles’ Büro ansteuerte. Es war das erste Mal, dass Mrs. Scott während der Abwesenheit ihres Mannes in den Geschäftsräumen in Lambeth aufkreuzte.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, aufgrund welcher Geschäfte sich Mr. Scott in Freiburg aufhalten sollte, Mrs. Scott.« Ken Fowles sah sie aufmerksam an. »Wie kommen Sie darauf? Als ich ihn am Montag anrief, war er noch in München.«
»Und seitdem? Wann haben Sie zuletzt mit ihm gesprochen, Mr. Fowles?«
»Seit Montag hatte ich keine Veranlassung, mit ihm zu sprechen.«
»Ken. Wer sind unsere Geschäftspartner in Deutschland?« Ken Fowles neigte den Kopf zur Seite. Es war ihm ein Rätsel, warum sie das so interessierte.
»Wir haben keine festen Geschäftspartner in Deutschland. Noch nicht. Vor nicht einmal zwei Wochen haben wir aber ernsthafte Verhandlungen bezüglich des neuen Medikaments gegen Magengeschwüre aufgenommen. In dem Zusammenhang haben wir einen Verkäufer eingestellt, der unser Agenturnetz in Nordeuropa aufbauen soll.«
»Und wer ist der Glückliche?«
»Ein gewisser Peter Manner von der Gesellschaft Heinz W. Binken & Breumann. In Deutschland ist die aber noch nicht etabliert.«
»Und warum nicht?«
»Ja, warum nicht? Weil Binken & Breumann eine liechtensteinische Gesellschaft und Peter Manner englischer Staatsbürgerist wie Sie und ich. Derzeit hält er sich in Portsmouth auf.«
»Ich muss schnell etwas für meinen Mann erledigen, Lizzie«, sagte Laureen und rauschte noch einmal an Mrs. Shuster vorbei. In Bryans Büro schlug ihr schwere, süßliche Luft entgegen. Bryans Schreibtisch war sein Archiv, und sein Archiv war beträchtlich. Jeder Stapel bedeutete einen Erfolg. In manchen Stapeln konnte das Ergebnis eines ganzen Forscherlebens stecken – bereit, der Welt mitgeteilt zu werden. Dieses Büro war die Sortierzentrale der weltbesten Forscher- und Laborteams. Mrs. Shuster sah ihr aus dem Vorzimmer missbilligend zu.
Sämtliche Schubladen waren abgeschlossen. Keiner der Stapel auf dem Schreibtisch hatte irgendetwas mit Deutschland oder gar Freiburg zu tun. Schwere Möbel unterstrichen unaufdringlich den konservativen Geschmack ihres Eigentümers. Nicht einmal ein Kalender an der Wand störte den stringent durchgehaltenen Stil. Einige wenige Gemälde – keines jünger als zweihundert Jahre – sowie stilvolle Messinglampen zu ihrer Beleuchtung, das war alles. Kein Schwarzes Brett, kein Wandplaner, keine Tafel mit Notizen. Es war ein durch und durch auf Effizienz ausgerichtetes, etwas altmodisches, nach fleißiger Arbeit aussehendes Chefbüro, in dem nur ein winziges Detail die Ordnung störte: ein kleiner Zettelspieß. In Laureens Augen ein Mordinstrument, das sie aus diesem Grund von Bryans Schreibtisch zu Hause verbannt hatte. Doch hier, zwischen drei Telefonapparaten, stand einer.
Laureen wusste, dass es sich bei diesem Zettelhäufchen um Bryans Ideenbank handelte. Ein Gedanke, der geniale Einfall eines klugen Mitarbeiters, eine Vision – er pflegte so etwas schnell und akkurat zu notieren und durchs Aufspießen zu sichern. Im Moment war die Ausbeute eher mager, stellte Laureen fest, es steckten nur fünf Zettel auf dem Spieß. Siehielt inne, als sie die Notiz auf dem untersten Papier las: »Keith Welles! 2000 Pfund überweisen. Commerzbank Hamburg.« Laureen betrachtete den Zettel eine Weile und nahm ihn dann
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