Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
zwischen den Verkaufsbuden auf und ein Fußgänger auf dem Bürgersteig gestikulierte wütend. Auf den Straßen war viel los, weil die Arbeitswoche sichihrem Ende näherte. Viele Familien waren vollauf damit beschäftigt, sich auf das Wochenende vorzubereiten.
Bryan fuhr aufs Geratewohl durch das Viertel, und wie durch ein Wunder entdeckte er Kröners Audi nach einer halben Stunde wieder.
Er parkte keine fünf Meter von dort, wo Bryan nun auf der anderen Straßenseite hielt.
Kröner und einer der Männer der kleinen Vormittagsgesellschaft standen neben dem Wagen und unterhielten sich angeregt.
Immer wieder wurde Kröner von Passanten gegrüßt, und jedes Mal lüftete er kaum merklich nickend den Hut. Er genoss ganz offenkundig Ansehen und Respekt bei seinen Mitbürgern.
Der Mann neben ihm wirkte wie der Prototyp eines Mannes, der ein höheres staatliches oder kommunales Amt bekleidete. Obwohl er besser aussah als Kröner, verstand dieser es mit einem übertriebenen Lächeln auf dem pockennarbigen Gesicht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er war vital und sich dessen sehr bewusst. Damals im Sanatorium war es Bryan schwergefallen, sein Alter zu schätzen. Jetzt fand er, dass Kröner wie fünfzig aussah, aber durchaus auch ein paar Jahre älter sein konnte.
Er hatte noch viele gute Jahre vor sich.
Unvermittelt drehte sich Kröner zu Bryan um und sah direkt zu ihm herüber. Bryan hatte den Blick so schnell nicht abwenden können. Der Pockennarbige breitete die Arme aus und klatschte begeistert in die Hände. Dann legte er seinem Gesprächspartner die Hand auf die Schulter und zeigte mit ausladenden Bewegungen auf das, was er gerade entdeckt hatte. Bryan drückte sich mit aller Kraft in die Rückenlehne, um sein Gesicht hinter dem Fensterholm zu verbergen.
Kröner war der Jaguar aufgefallen. Er bedeutete Bryan, er wolle zu ihm herüberkommen und sich den Wagen ansehen,sobald eine Lücke im Verkehr dies zuließ. Fieberhaft sah sich Bryan um und lenkte den Wagen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder auf die Straße. Im Rückspiegel sah er die beiden Männer kopfschüttelnd mitten auf der Fahrbahn stehen.
Er musste sich ein unauffälligeres Auto beschaffen. Auf der Bertoldstraße entdeckte er den Volkswagen. Unter dem matten, schwarzen und allem Anschein nach ziemlich eilig aufgetragenen Lack ließ sich noch die alte psychedelische Bemalung erahnen.
Die Botschaft in der Heckscheibe war eindeutig: ein erschwinglicher Preis und eine Telefonnummer. Der Wagen stand vor einem niedrigen sandfarbenen Gebäude mit Flachdach und ausgesprochen schlichter Glasbausteinfassade, an der ein pompöses Schild mit der Aufschrift »Roxy« hing. Die schmutzigen Glasbausteine dienten dem Lokal als Fenster und wurden nur von der dunklen Tür und den Reklameschildern für Lasser Bier und Bitburger Pils unterbrochen. Dieser absolute Horror von einer Bierstube hatte den gnadenlosen Prozess der so genannten Stadtverschönerung auf wundersame Weise überlebt.
Im Inneren des Lokals war es erstaunlich hell. Den Eigentümer des Autos hatte Bryan schnell identifiziert. Er war der einzige angestaubte Hippie zwischen den rotgesichtigen Gästen und der Einzige, der aufmerkte, als Bryan hereinkam. Bryan nickte dem Typen in der bunten Häkelweste und dem fleckigen, viel zu engen T-Shirt zu.
Während sie verhandelten, warf der Hippie mindestens zwanzigmal seine lange Mähne zurück. Bryan war längst einverstanden mit dem Preis, doch der Hippie bestand auf dieser sinnlosen Feilscherei. Als es Bryan zu bunt wurde, knallte er das Geld auf den Tisch und bat um die Fahrzeugpapiere. Um die Formalitäten würde er sich später kümmern. Wenn er den Wagen überhaupt behielt.
Wenn nicht, würde er ihn einfach dort abstellen, wo er jetzt stand, den Schlüssel stecken lassen sowie die Papiere und den schnell niedergekritzelten Vertrag ins Handschuhfach legen. Dann konnte der Typ ihn gern wiederhaben.
Um Punkt dreizehn Uhr parkte Bryan sein neues Fahrzeug gegenüber von Kröners Haus. Die meisten Bewohner des Viertels nutzten vermutlich ihre Mittagspause und saßen zu Tisch. Diesmal vergingen keine fünf Minuten, bis ein finsterer und konzentrierter Kröner das Haus verließ.
Während der folgenden Stunden erhielt Bryan einen guten Einblick in Kröners Tätigkeit. Er fuhr sechs verschiedene Adressen an, alle in Freiburgs besseren Vierteln gelegen. Kein Besuch dauerte länger als zehn Minuten, und jedes Mal kam Kröner mit einem kleinen
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