Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
originell, was?«
Das konnte man wohl sagen. Ein solcher Allerweltsname passte doch gar nicht zu diesem Mann, fand Bryan. Vielleicht wunderte sich Mariann Devers, als er sie um Hans Schmidts Adresse bat, was sie aber nicht daran hinderte, sie ihm zu geben.
Das Haus war nicht besonders groß, zeugte aber von ausgesuchtem Geschmack und Wohlstand. Wer einen Blick dafür hatte, bemerkte, dass hier bis ins Detail alles stimmte, ohne sich aufzudrängen. Eine diskrete architektonische Schönheit, an der nur ausgesuchte Materialien höchster Qualität zur Anwendung gekommen waren. Es war eine Seitenstraßenvilla. Ein kleines Messingschild verriet den Namen des Eigentümers: »Hans Schmidt«. Mehr stand da nicht.
Lügner!, dachte Bryan und hätte am liebsten die Gravur zerkratzt. Hier also lebte der Mann, der sich die schöne Gisela Devers geangelt und ihr das Leben zur Hölle gemacht hatte. Die Frau, für die Bryan in jungen Jahren zärtliche Gefühle gehegt hatte. Bryan bekam eine Gänsehaut.
Im ersten Stock brannte noch Licht. Auf der Gardine zeichnetesich ein Schatten ab, so vage, dass es sich auch um eine Bewegung des Stoffs in der Zugluft handeln konnte. Oder waren es die Umrisse von Gisela Devers’ Peiniger? Dieser Schatten umriss den Meister der Verstellung, Schweinehund und Geschäftsmann: Hans Schmidt alias Obersturmbannführer Wilfried Kröner, der Pockennarbige.
Am nächsten Tag bezog Bryan schon im Morgengrauen Stellung gegenüber von Schmidts Haus. Er beobachtete die in der Nachbarschaft wohnenden Geschäftsmänner, wie sie aus ihren Häusern traten, sich in ihren BMW oder Mercedes setzten und ausschwärmten. Dann wurde es ruhig im Viertel. Genau wie zu Hause in Canterbury. Mit zwei Unterschieden: die Automarken und die Ehefrauen. Auch in Canterbury winkten die Gattinnen ihren Männern von der offenen Haustür nach, allerdings würde eine Engländerin der Oberschicht eher ihr Bankschließfach hergeben als sich so zu zeigen, wie es die Damen hier in Freiburg taten. Laureen war immer tadellos gekleidet, wenn sie einen Fuß über die Schwelle setzte. Hier bot sich einem in allen Hauseingängen der gleiche Anblick. Ganz gleich, wie groß das Haus und wie teuer der Anzug des Gatten war: In jeder Haustür stand eine Frau im Morgenmantel und mit Lockenwicklern im Haar.
Nur in Kröners Haus rührte sich nichts.
Bryan wurde das ungute Gefühl nicht los, dass er besser gerüstet sein sollte. Vielleicht sogar bewaffnet. Bei der Aussicht, einem der ausgekochtesten Sadisten, denen er je begegnet war, wieder gegenüberzustehen, stieg eine fast jugendliche Aggressivität in ihm auf. Überdeutlich erinnerte er sich an jeden einzelnen von Kröners Übergriffen. Kaum zu kontrollierende Rachegelüste wallten in ihm auf. Aber auch andere Bilder erschienen vor seinem inneren Auge. Bilder von James, Momente der Hoffnung. Bryan musste vorsichtig sein und mahnte sich zur Wachsamkeit.
Gegen zehn Uhr rührte sich endlich etwas. Eine ältere Frau trat mit einer Wolldecke aus dem Haus und schüttelte sie aus.
Bryan verließ seine Stellung und ging direkt auf sie zu. Er knöpfte die Jacke auf und fächelte sich Luft zu. Die Sonne stand bereits halb hoch am Himmel, für eine Jacke war es schon zu warm.
Erschrocken sah sie ihn an, als er sie auf Englisch ansprach. Sie schüttelte den Kopf und wollte ganz schnell wieder hineingehen. Dann sah sie ihn noch einmal an und schüttelte wieder den Kopf, diesmal allerdings etwas freundlicher. »I speak no English, tut mir leid.«
»Herr Schmidt?« Bryan breitete fragend die Arme aus.
Da brach plötzlich ein wahrer Strom deutscher Sätze und einzelner englischer Wörter aus ihr hervor. Die Herrschaften waren nicht zu Hause, beide nicht, soviel verstand Bryan. Aber sie würden wiederkommen. Später.
Vielleicht heute.
33
ETWA ZUR GLEICHEN ZEIT in Canterbury führte Bridget sich unmöglich auf. »Glaub mir, das sind die Wechseljahre.« Laureen versuchte behutsam, ihre Schwägerin dazu zu bewegen, den Tatsachen ins Auge zu sehen.
Sie selbst hatte nun wirklich genug um die Ohren.
Die letzten Tage ohne Bryan waren anstrengend gewesen. Die Ehefrau ihres ältesten Bruders wirkte zwar nach außen hin stets völlig unauffällig und anständig, aber hinter der bürgerlichen Fassade war sie die reinste Nervensäge.
»Dein Bruder ist ein elender Lump!«, konnte sie schon mal unvermittelt ausrufen und gleichzeitig geräuschvoll ihre Gabel auf den Teller pfeffern. Wenn Bridget zu Besuch
Weitere Kostenlose Bücher