Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
verschwitzt und alle sehr aufgeregt. Jetzt sah er, wie die gleichen Läufer sich bereits zum dritten Mal zum gleichen Lauf aufstellten. Sie schüttelten Arme und Beine aus. Einige trugen Laufschuhe mit drei Streifen, andere solche mit nur einem. Kaum fiel der Startschuss, fuchtelten alle wie wild mit den Armen. Erst bewegten sie sie vor und zurück und dann, als sie die hintere Linie passierten, nach oben. Sie waren alle sehr muskulös. Vor allem die farbigen Männer. Und zwar von Kopf bis Fuß.
Der Mann erhob sich langsam und streckte die Hände hoch über sich in die Luft. Die anderen Patienten starrten weiter unbeirrt auf den Bildschirm. Sie beachteten ihn gar nicht. Dann fing er wieder an, alle Muskelgruppen nacheinander anzuspannen. Sein Körper war durchtrainiert wie der der farbigen Männer.
Einige der Läufer ließen sich auf den Rasen fallen, aber kein Farbiger. Alle trugen helle Hosen. Sie waren in der Mehrzahl. Die hellen Hosen. Als er die Hände zum zehnten Mal in dieLuft streckte, zählte er die Funktionäre, die entlang der Bande vor den Zuschauern saßen. Jedes Mal, wenn die Kameraeinstellung wechselte, zählte er sie von Neuem. Es waren zweiundzwanzig.
Dann setzte er sich und begann sein Trainingsprogramm von vorn.
Die Arme in die Seiten gestemmt, spazierten die Sportler lange umher, ohne sich anzusehen. Die meisten trugen Schuhe mit drei Streifen. Ein einziger hatte nur einen waagerechten Strich. Er zählte die Funktionäre an der Bande. Bei diesem Lauf waren es nicht so viele. Acht. Er zählte sie noch einmal.
Die Pausenmelodie, die immer zwischen den Berichten eingespielt wurde, erklang. Er beugte sich vornüber, umfasste seine Fußgelenke und zog den Oberkörper gegen die Oberschenkel. Er schloss die Augen und lauschte. Die Stille, die neue Läufer ankündigte, übertönte das Brausen der Zuschauer. Es war genau das Gleiche, wie er es gestern schon gesehen hatte.
Er beugte sich vor, bis er mit der Stirn die Knie berührte, und zählte noch einmal rückwärts. Hundert, neunundneunzig, achtundneunzig, siebenundneunzig … Wieder ertönte ein Schuss. Er wandte den Blick zur Seite, ließ das auf dem Kopf stehende Bild seiner Umgebung an sich vorbeirauschen und zählte unbeirrt weiter. Ein Gesicht im Sessel neben ihm verwischte, weil er sich so anstrengte. Die Farben flossen ineinander. Dann hörte er wieder die Zuschauer rufen. Nichts als ein tiefes Rauschen. Er richtete sich auf, sah kurz zum Bildschirm und prägte sich das Bild dieses Meeres aus Armen und Farben ein. Dann schloss er wieder die Augen und begann aus der Erinnerung die Köpfe zu zählen. Die Hintergrundgeräusche verblassten. Er war in seinem Übungsprogramm an dem Punkt angelangt, wo ihm immer schwindelig wurde. Wie ferngesteuert federte er die letzten dreißig Male nach, dann hechelte er ein paarmal und richtete sich wieder auf. Nach mehrmaligemStrecken der Halsmuskulatur reckte er noch einmal die Hände in die Luft. Erst als die vielen einzelnen Körner auf dem Bildschirm wieder ein Gesamtbild ergaben, setzte er sich.
Er atmete einige Male tief durch und hielt schließlich die Luft an. Das war die Belohnung am Ende jeder Runde. Totale Konzentration und Ruhe. Sämtliche Poren öffneten sich. In diesen Momenten nahm er das Fernsehzimmer ganz ungefiltert wahr.
Er schloss die Augen und ging im Geiste das gesamte Trainingsprogramm Übung für Übung rückwärts durch. Spulte seine Erinnerung zurück. Als er am Anfang angekommen war, konnte er die Schritte der Besucher hinter sich wieder hören. Er hatte sich alles ganz genau gemerkt.
Der Fremde hatte Schuhe mit harten, lauten Sohlen getragen. Er hatte stillgestanden, während Rehmann sich bei der Sprechanlage aufhielt. Und dann hatten sie noch einmal miteinander geredet.
Der Mann im Ohrensessel schlug ruckartig die Knie aneinander und ließ alles vor seinen Augen verschwimmen. Dann atmete er durch die Zähne aus und holte noch einmal schnell und tief Luft. Sie hatten miteinander geredet. Beide hatten Laute von sich gegeben, die er jetzt, in der Erinnerung, als äußerst unangenehm empfand. Er öffnete die Augen und sah, wie sich eine neue Gruppe Läufer konzentrierte. Fünf von ihnen trugen Schuhe mit drei Streifen. Zwei hatten nur einen Streifen. Dann zählte er die Funktionäre an der Bande. Diesmal waren es nur vier. Als er sie zum dritten Mal durchzählte, fing er an, schneller zu atmen, und sah auf.
Einige der Laute ließen ihn nicht mehr los.
Er blickte wieder zum
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