Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
er als Junge geschenkt bekommen. Kröner und die anderen haben es ihm damals im Lazarett weggenommen.«
»Er war ganz sicher, dass Kröner es in dieser Rolle versteckt hatte. Aber da waren nur Zeichnungen drin. Das hat ihn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.«
Wehmütig schüttelte Bryan den Kopf. »Jill war seine Schwester. Sie ist während des Krieges gestorben.«
Bridget erschien erst im letzten Augenblick. Sie stelzte so unsicher über den Bahnsteig, dass Laureen unter anderen Umständen am liebsten im Erdboden versunken wäre. Heute aber empfing sie sie, als habe sie sie jahrelang nicht gesehen. »Bridget, da bist du ja endlich!«, rief sie und drückte sie an sich. Bridget nickte Bryan, Petra und dem Mann an ihrer Seite müde zu.
Schon als sie in den Zug einstiegen, war klar, wie die Sitzordnung im Abteil sein würde. James saß am Fenster, Laureen gegenüber am Gang.
Bridget stellte sich ans offene Fenster, um frische Luft zu schnappen. Petra duckte sich und sah unter Bridgets Arm zum Fenster hinaus.
»Warten Sie auf jemanden?«, fragte Bryan. Petra sah traurig aus.
»Jetzt sind wir doch sicher, oder?«, fragte Laureen kaum hörbar.
»Sicher? Was meinst du damit?« Bridget blickte neugierig über die Schulter.
»Sicher, dass wir im richtigen Zug sitzen, Bridget!«, antwortete Bryan trocken und erstickte ihren Protest mit einem einzigen Blick im Keim. Der ihm schräg gegenüber sitzende James hatte überhaupt noch nicht auf die Geräusche und Bewegungen im Abteil reagiert. Er schien sich in seiner neuen Kleidung nicht wohl zu fühlen und fixierte sämtliche Passanten auf dem Bahnsteig für Sekundenbruchteile – fast als würde er sie zählen.
Petra drehte erneut ihr Gesicht zum Fenster, um unauffällig ihre Tränen abzuwischen. Dann seufzte sie und lehnte sich in ihrem Sitz zurück.
»Grundgütiger!«, brach es aus Bridget hervor. »Die Hippies heutzutage werden auch immer doller. So viele Tücher, wie die da auf dem Kopf hat, könnte man glatt meinen, sie sei Afrikanerin!« Sie entfernte sich ein Stück vom Fenster, damit die anderen die Frau sehen konnten. Petra sprang auf, als sie sie sah, und strahlte. »Bin gleich wieder da«, versprach sie James. »Warte hier auf mich!«
Die Begrüßung der beiden Frauen auf dem Bahnsteig wurde wortreich von Bridget kommentiert, die den anderen die Sicht versperrte.
Als die beiden Frauen ins Abteil kamen, hellte sich James’ Miene einen Moment auf. Laureen entging Bryans Überraschung nicht. »Wer ist das?«, flüsterte sie ihm zu.
»Hallo, schön, Sie wiederzusehen.« Die Frau reichte Bryan die Hand.
»Mariann Devers!« Bryan war fassungslos.
»Sieht aus, als hätten wir noch mehr gemeinsame Bekannteals nur meine Mutter«, lächelte sie und nahm James in den Arm. Sie strich die vielen Stofflagen ihres Kleides glatt und sah James fest in die Augen, während sie leise und freundlich mit ihm sprach.
Dann drückte sie ihn noch einmal an sich und musterte Petra eine Weile, bevor sie sich zusammennahm und sich verabschiedete.
Als sie das Abteil verließ, wandte sie sich noch einmal um und sagte zu Bryan: »Eigentlich schade, dass aus Ihnen und meiner Mutter damals kein Paar geworden ist. Wir hätten bestimmt eine gute Familie abgegeben. Und jetzt nehmen Sie mir auch noch meine allerbeste Freundin und meinen lieben Erich weg. Was fällt Ihnen eigentlich ein?« Ihr Blick war freundlich und tief bewegt. Sie umarmte Petra ein letztes Mal und verschwand.
»Was war das?« Endlich nahm Laureen die Sonnenbrille ab. »Wer war die Frau? Und was hat es mit ihrer Mutter auf sich, Bryan?«
Bryan antwortete nicht sofort. Er sah zu Petra. »Das war Gisela Devers’ Tochter«, sagte er nur. Petra nickte.
»Sie kennen sie?«
Petra nickte abermals. »Ich kannte ihre Mutter. Sie war meine beste Freundin. Als sie gestorben ist, habe ich mich um Mariann gekümmert. Sie ist wie eine Tochter für mich.«
Bryan holte tief Luft. »Und sie kennt James?«
»Sie nennt ihn Erich. Ja, schon seit sie ein kleines Mädchen war. Sie hat ihn oft besucht … Stimmt’s, James?«
Er nickte kurz.
»Dann hätte sie mich ja schon am ersten Tag zu ihm führen können.« Bryan atmete tief durch und fasste sich sofort wieder an die Seite. Die Erkenntnis war schwer zu ertragen.
»Ja, natürlich. Wenn Sie ihr ein Foto von ihm gezeigt hätten.« Petra schob die Unterlippe vor. »Aber sie hat bestimmt auch selber einige Bilder von ihm in ihren vielen Schachteln.Gisela nahm ihn
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