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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Stunde in Anspruch nahm, konnte ihn inzwischen durchaus einen ganzen Vormittag oder Abend beschäftigen. Solange er sich in einen Film einlebte, vergaß er alles um sich herum. Wenn trübe Gedanken aufkamen oder sich in ihm die Angst breitmachte, er könne seine Lieben nie mehr wiedersehen, wurde dieser Zeitvertreib sein Trost.
    Seine großzügige Mutter hatte ihm und seinen Schwestern oft ein bisschen Kleingeld zugesteckt, damit sie zur Sonntagsmatinee ins Kino gehen konnten. Als Kinder verbrachten sie einen großen Teil ihrer Zeit mit Deanna Durbin, Laurel und Hardy, Nelson Eddy oder Tom Mix, während die Eltern einen Schaufensterbummel machten. Problemlos konnte er sich seine beiden Schwestern in Erinnerung rufen. Wenn der Held die Heldin küsste und die Zuschauer johlten, hatten Jill und Elizabeth im dunklen Kino geflüstert und gekichert.
    Die Erinnerungen an die Filme und an Bücher, die er in seinerSchulzeit verschlungen hatte, halfen ihm nun dabei, nicht durchzudrehen. Aber je mehr Elektroschockbehandlungen er im Lauf der Zeit ausgesetzt war und je mehr Tabletten er geschluckt hatte, desto öfter kam es vor, dass er bei den Tagträumen ins Stocken geriet, weil ihn mittendrin sein Gedächtnis im Stich ließ.
    Im Moment wollten ihm die Namen von Douglas Fairbanks Jr. und McLaglen im Film einfach nicht einfallen. Aber das würde schon noch wiederkommen.
    Bisher war das noch immer so gewesen.
    James’ Kopf lag schwer auf dem Kissen. Er tastete nach Jills Halstuch unter der Matratze.
    »Herr Standartenführer, wollen Sie nicht doch einmal aufstehen und ein bisschen herumgehen? Sie haben den ganzen Vormittag gedöst. Geht es Ihnen nicht gut?«
    James schlug die Augen auf. Die Krankenschwester lächelte ihn an und stellte sich auf die Zehenspitzen, damit sie den Arm unter sein Kopfkissen schieben und es zurechtziehen konnte. Schon seit Monaten hätte James ihr gern geantwortet oder ein Zeichen gegeben, dass es ihm besser ging. Stattdessen starrte er sie weiter ausdruckslos an, ohne eine Miene zu verziehen.
    Die Schwester hieß Petra und war das einzige wirklich menschliche Wesen, das er hier bislang gesehen hatte.
    Petra hatte der Himmel geschickt. Als Erstes hatte sie dafür gesorgt, dass die anderen Schwestern Werner Fricke, den Patienten mit der Kalendermanie, in Ruhe ließen.
    Dann hatte sie sich mit zweien ihrer Kolleginnen angelegt, weil sie die Strafen für Bettnässen und »unmanierliches Essen« mildern wollte.
    Und dann hatte sie begonnen, sich in besonderem Maße um James zu kümmern.
    Offenbar war er ihr gleich sympathisch gewesen. Zwar ließ sie auch anderen im Krankenzimmer viel Fürsorge angedeihen. Aber ihr trauriges, bedrücktes Gesicht machte sie nur, wennsie an James’ Bett stehen blieb. James staunte, dass sie für einen Mann wie Gerhart Peuckert etwas empfinden konnte. Er vermutete, dass sich hinter der Schwesterntracht ein naives und vielleicht etwas phantasieloses Mädchen verbarg, das aus einer Klosterschule direkt zur Schwesternausbildung gekommen war.
    Die mangelnde Lebenserfahrung war ihr deutlich anzumerken. Professor Sauerbruch war ihr Lehrmeister und weltlicher Schutzheiliger. Wenn Petra von ihm sprach, bekam sie leuchtende Augen, und ihre Hände arbeiteten doppelt so sicher und schnell. Und wenn ein Patient durchdrehte und alle in die Hölle schicken wollte, bekreuzigte sie sich erst, bevor sie Hilfe holte.
    Petras Vorliebe für James ließ sich vielleicht mit romantischen Vorstellungen erklären. Vielleicht fand sie einfach, er sei ein gut aussehender junger Mann. Der Krieg währte nun schon fünf Jahre. Als sie sich für den harten Alltag der Krankenhäuser entschieden hatte, war sie kaum älter als sechzehn, siebzehn gewesen. Wo hätte sie ihre Träume und Phantasien ausleben sollen? Wann hatte sie überhaupt die Möglichkeit gehabt, zu lieben und geliebt zu werden?
    James hatte nichts dagegen, in ihr Wünsche und Vorstellungen zu wecken. Sie war ein nettes Mädchen und obendrein hübsch. Bis auf Weiteres nahm er sich in Acht und genoss ihre Fürsorge. Solange sie da war, um ihm nach den Schockbehandlungen das Essen einzuflößen oder das Fenster zu schließen, wenn ihm die Zugluft zu schaffen machte, würde ihn sein Körper jedenfalls nicht vor der Zeit im Stich lassen.
    »Nun kommen Sie schon, Herr Standartenführer!«, fuhr sie fort und schob James’ Beine über die Bettkante. »Das nützt doch nichts. Sie wollen doch auch, dass es Ihnen wieder besser geht, nicht wahr? Und

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