Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
Vom Netzwerk:
flackernden Deckenlampen und starrte vor sich hin. Der Pockennarbige hielt ihn an der Schulter. Den Verwundeten aus dem angrenzenden Gebäude bekam das Stehen gar nicht, sie hatten offenkundig Schmerzen und versuchten, sich Platz zu verschaffen, um nicht angerempelt zu werden, oder ließen sich schlaff in die Hocke fallen.
    Das Personal war vollauf damit beschäftigt, die besonders Aufgebrachten zu beruhigen und dafür zu sorgen, dass niemand niedergetrampelt wurde. Schwer atmend starrte ein junger Krankenpfleger vor sich hin.
    Bryan wiegte sich hin und her, dabei summte er vor sich hin, wie James es zu Anfang immer getan hatte. Mit jeder Bewegung verschaffte er sich einen kleinen freien Raum, ohne dass die Umstehenden protestierten. Fliegeralarm, dachte Bryan, bitte, bitte dauere lange! Wiegend und summend bewegte ersich in James’ Richtung. Die Deckenlampe brannte jetzt ruhig. Die Geräusche von außen waren nicht mehr zu unterscheiden.
    Einer der Verwundeten griff auf einmal nach Bryans Hemd und fing an, ihn zu beschimpfen. Seine Augenlider waren schwer und der Griff schwach. Woher er die Kraft für diesen aggressiven Ausbruch hatte, war Bryan ein Rätsel. Er wand den Daumen des Mannes aus seinem Hemd und blickte hinüber zu James.
    Nie hatte er einen ähnlichen Ausdruck in James’ Augen gesehen. Sein Blick war nicht zornig, sondern drohend, fast hasserfüllt.
    Jäh unterbrach Bryan sein Summen und atmete geräuschvoll aus. James sah weg. Als Bryan abermals ein paar Schritte auf James zuging, war da sofort wieder dieser abweisende Blick. Dann endlich fiel Bryan auf, dass der Pockennarbige James und ihn beobachtete.
    Bryan hätte nicht sagen können, ob es ihm gelungen war, rechtzeitig den Blick zu senken.
     
    Bis er wieder im Bett lag, fühlte Bryan sich unablässig beobachtet.
    Der Aufenthalt im Keller hatte ihm viel zu denken gegeben. Die Schreie in den kleinen Zellen neben dem Gang: Alle hatten sie gehört, aber niemand hatte reagiert. Auch nicht auf dem Rückweg, als sie den Schutzraum wieder verließen. Was war diesen Menschen widerfahren? War es denkbar, dass Dr.   Holst und Manfred Thieringer doch nicht so ganz ermessen konnten, wie viele Elektroschocks ein menschliches Gehirn auf Dauer aushalten konnte? Oder war das die Strafe, die James und ihn erwartete, wenn man sie als Feinde und Simulanten enttarnen würde?
    Und dann diese Blicke: James’ Blicke und die des Pockennarbigen.
    Am Abend, als sie Teller und Besteck verteilten, lächelten der Pockennarbige und sein breitgesichtiger Begleiter und gaben sich fürsorglich wie immer. Tagsüber schlief der Breitgesichtige fast nur, aber sobald es Zeit war für die Mahlzeiten, trottete er durch die Gänge und holte aus der Küche ein paar Häuser weiter die Essenseimer. Alle lächelten die beiden vergnügt an, wenn sie sich mit der schweren Last abrackerten.
    An diesem Abend blinzelte der pockennarbige Riese seinem Kumpel kaum merklich zu, aber Bryan hatte es gesehen. Mehr oder weniger in derselben Sekunde wandte er sich Bryan zu. Der war zwar überrumpelt, ließ aber geistesgegenwärtig die Spucke, die sich angesammelt hatte, aus dem offenen Mund und über sein Kinn fließen.
    Der Riese schob den nächsten Teller zurecht und füllte noch eine Kelle Wurststückchen neben die dicken Scheiben Brot. Der Patient, dem diese Extraration zukommen sollte, versuchte undankbar, den Segen abzuwehren. Aber das bekam der Pockennarbige nicht mit. Er sah nur auf die Spucke an Bryans Kinn.
     
    Seit er im Lazarett war, hatte Bryan einige wenige deutsche Wörter gelernt, wenn ihm auch die Bedeutung nicht immer ganz klar war. Aber aus der Satzbetonung und dem Gesichtsausdruck der Sprechenden erschloss sich ihm doch einiges. Zum Beispiel, in welchem Gesundheitszustand die Mitpatienten sich befanden und was die Ärzte von ihren psychischen Entwicklungen her erwarteten.
    Dieses Lernen verlangte viel Konzentration, und die konnte Bryan nur schwer aufbringen, zumal er immer wieder mit Elektroschocks behandelt wurde. Selbst wenn die anfängliche Mattigkeit überwunden war, nahm er die Umwelt in verzerrten, sich langsam bewegenden Bildern wahr.
    Bryan wusste, dass er den Pockennarbigen nicht ansehen durfte. Wenn sein Verdacht stimmte, dann gingen Dinge aufder Station vor sich, deren Zusammenhänge er zwar nicht verstand, vor denen er sich aber hüten musste. Häufig erlebte er, dass sich der Pockennarbige über ihn beugte, wenn er döste. Der Riese veränderte andauernd seinen

Weitere Kostenlose Bücher