Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
rauschte sie von der Tanzfläche Richtung Toiletten. Ich ging ihr nach, aber sie hatte einen zu großen Vorsprung. Und sie kam nicht mehr zurück, und irgendwann ging auch ihr Freund.
Nachdem Mary Elizabeth mich schließlich zu Hause abgesetzt hatte, fand ich meine Schwester weinend im Keller. Und diesmal war es eine andere Art Weinen. Es machte mir irgendwie Angst.
»Alles in Ordnung?«
»Lass mich allein, Charlie.«
»Was ist los?«
»Das verstehst du nicht.«
»Ich kann es doch versuchen.«
»Echt witzig. Das ist wirklich sehr witzig.«
»Willst du, dass ich Mom und Dad wecke?«
»Nein.«
»Aber vielleicht könnten sie …«
»CHARLIE! HALT DIE KLAPPE! OKAY? HALT EINFACH DIE KLAPPE!«
Und dann fing sie richtig zu weinen an. Ich wollte nicht, dass es ihr noch schlechter ging, also beschloss ich, sie alleine zu lassen. Da legte meine Schwester plötzlich ihre Arme um mich. Sie sagte kein Wort, sie drückte mich nur ganz fest und ließ mich nicht mehr los. Also legte ich auch die Arme um sie. Das war ziemlich seltsam, denn wir hatten uns noch nie umarmt – außer, man hatte meine Schwester dazu gezwungen. Nach einer Weile beruhigte sie sich etwas und ließ mich wieder los. Atmete tief durch und schob sich die Haare aus dem Gesicht.
Und dann sagte sie mir, dass sie schwanger war.
Viel mehr kann ich Dir von dieser Nacht leider nicht erzählen – sie ist wie hinter einem Schleier verborgen, und ich kann mich an keine Einzelheiten mehr erinnern. Was ich noch weiß, ist: Der Freund meiner Schwester behauptete, das Kind sei nicht von ihm, meine Schwester war sich aber ganz sicher, dass es von ihm war. Und er hatte mit ihr Schluss gemacht, eben gerade auf dem Schulball. Bisher hatte meine Schwester noch niemandem davon erzählt, denn sie will nicht, dass es »die Runde macht«. Die Einzigen, die davon wissen, sind sie, er und ich. Und ich darf es niemandem sagen. Niemandem. Niemals.
Ich sagte meiner Schwester, dass sie es wohl irgendwann nicht mehr würde verbergen können, aber sie sagte, so weit würde sie es nicht kommen lassen. Da sie schon achtzehn sei, bräuchte sie nicht die Erlaubnis von Mom oder Dad. Alles, was sie bräuchte, wäre jemand, der sie nächsten Samstag ins Krankenhaus fährt. Und dieser jemand würde ich sein.
»Na, ein Glück, dass ich inzwischen meinen Führerschein habe.«
Das sagte ich, um sie zum Lachen zu bringen. Hat aber nicht funktioniert.
Alles Liebe,
Charlie
23. Februar 1992
Lieber Freund,
heute saß ich etwa eine Stunde oder so im Wartezimmer des Krankenhauses, ich weiß nicht mehr, wie lange genau. Bill hat mir ein neues Buch gegeben, aber ich konnte mich nicht richtig darauf konzentrieren. Du verstehst sicher, warum.
Stattdesen versuchte ich, einige der Zeitschriften zu lesen, die dort auslagen, aber auch das gelang mir nicht. Es war nicht so sehr, dass immer davon die Rede war, was die Leute alle essen – es waren diese Titelbilder. Auf jedem
war ein lächelndes Gesicht, und wenn es eine Frau war, sah man immer ihren weiten Ausschnitt. Ich fragte mich, ob diese Frauen gut aussehen wollten oder ob das einfach zu ihrem Job gehörte. Dann fragte ich mich, ob sie überhaupt eine Wahl hatten, wenn sie erfolgreich sein wollten, und das ging mir dann nicht mehr aus dem Kopf.
Ich konnte das Fotoshooting richtig vor mir sehen, und wie die Schauspielerin oder das Model danach mit ihrem Freund »etwas Leichtes« essen geht. Er fragt sie, wie so ihr Tag war, und sie ist nicht gerade begeistert über ihren Tag, oder vielleicht ist sie auch sehr aufgeregt, weil es ihr erstes Titelbild ist und sie jetzt allmählich berühmt wird. Dann liegt das Magazin überall aus, alle möglichen Leute sehen sie auf dem Cover, und viele denken, es würde hier um etwas sehr Wichtiges gehen. Und jemand wie Mary Elizabeth wird sehr wütend auf die Schauspielerin oder das Model, weil sie den Leuten wie alle anderen Schauspielerinnen und Models ihren Ausschnitt zeigt, während ein Fotograf wie Craig natürlich nur auf die Qualität des Bildes achtet … Dann dachte ich, dass sich einige Männer das Magazin kauften, um zu dem Titelbild zu masturbieren. Und ich fragte mich, was die Schauspielerin oder ihr Freund wohl davon hielten, wenn sie überhaupt an so etwas dachten. Und dann beschloss ich, dass es höchste Zeit war, mit dem Nachdenken aufzuhören, weil es meiner Schwester nicht im Geringsten half.
Da begann ich, über meine Schwester nachzudenken.
Ich musste daran denken, wie sie und
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