Das also ist mein Leben - Chbosky, S: Das also ist mein Leben - The Perks of Being a Wallflower
ihre Freundinnen einmal meine Fingernägel lackiert hatten – zum Glück war mein Bruder damals nicht zu Hause gewesen. Und wie sie
mir ihre Puppen lieh, damit ich mit ihnen ausgedachte Theaterstücke spielen konnte, oder mich im Fernsehen alles ansehen ließ, was ich wollte. Und wie sie immer mehr zur »jungen Dame« wurde, die niemand ansehen durfte, weil sie fand, dass sie zu dick war. Dabei war sie gar nicht dick – und eigentlich sogar sehr hübsch. Ich weiß noch, wie verändert ihr Gesicht war, als sie merkte, dass Jungs sie hübsch fanden. Oder als sie zum ersten Mal einen Jungen richtig mochte, der nicht als Poster an ihrer Wand hing. Und was für ein Gesicht sie machte, als sie erkannte, dass sie in diesen Jungen verliebt war. Und dann fragte ich mich, wie wohl ihr Gesicht aussehen wird, wenn sie aus dieser Tür kommt.
Meine Schwester war diejenige gewesen, die mir erzählt hatte, wo die Babys herkamen. Meine Schwester war auch diejenige gewesen, die gelacht hatte, als ich daraufhin fragte, wo die Babys hingingen.
Als mir das wieder einfiel, musste ich weinen. Das durfte aber niemand mitkriegen, denn dann würden sie mich vielleicht nicht mehr fahren lassen, und vielleicht riefen sie dann sogar unsere Eltern an. Und das durfte nicht geschehen, denn meine Schwester verließ sich auf mich, und es war das erste Mal, dass sich überhaupt jemand auf mich verließ. Doch dann wurde mir bewusst, dass ich zum ersten Mal weinte, seit ich Tante Helen versprochen hatte, es nicht mehr zu tun, außer wegen etwas sehr Wichtigem, und da musste ich rausgehen, denn ich konnte es nicht länger verbergen.
Ich muss ziemlich lange im Auto gesessen haben, denn irgendwann fand mich meine Schwester dort. Ich rauchte
und weinte noch immer. Meine Schwester klopfte an die Scheibe. Ich ließ die Scheibe runter, und meine Schwester blickte mich erst neugierig an. Dann blickte sie mich wütend an.
»Charlie, du rauchst?«
Sie war so wütend, dass ich es kaum beschreiben kann.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass du rauchst!«
Da hörte ich auf zu weinen. Und begann zu lachen. Denn von allem, was sie hätte sagen können, nachdem sie wieder aus der Klinik raus war, suchte sie sich ausgerechnet meine Raucherei aus. Und sie war sehr wütend deswegen. Und ich wusste, wenn meine Schwester wütend war, würde auch mit ihrem Gesicht nichts anders sein. Und es würde ihr schon wieder gut gehen.
»Dir ist doch klar, dass ich das Mom und Dad erzählen werde, oder?«
»Nein, wirst du nicht.« Ich konnte überhaupt nicht mehr aufhören zu lachen.
Dann dachte meine Schwester einen Moment darüber nach und begriff, dass sie Mom und Dad nichts erzählen würde. Es war, als fiele ihr auf einmal wieder ein, wo wir waren und was gerade passiert war und wie verrückt unsere ganze Unterhaltung angesichts dessen doch war. Und dann musste sie auch lachen.
Und dann wurde ihr übel vom Lachen, also stieg ich aus und half ihr auf die Rückbank. Ich hatte schon Kissen und Decke für sie hergerichtet, denn wir hatten uns vorher überlegt, dass es vermutlich am besten war, wenn sie sich erst ein wenig ausruhte, bevor wir wieder heimfuhren.
Kurz bevor sie einschlief, sagte sie: »Wenn du schon rauchen musst, könntest du wenigstens das Fenster einen Spaltbreit aufmachen.«
Worauf ich wieder lachen musste.
»Charlie raucht. Ich fasse es nicht.«
Worauf ich noch mehr lachen musste. Dann sagte ich: »Ich hab dich lieb.«
Und meine Schwester sagte: »Ich hab dich auch lieb. Hör nur bitte endlich auf zu lachen.«
Nach einer Weile wurde mein Lachen zum gelegentlichen Kichern, und dann hörte es ganz auf. Ich sah nach hinten. Meine Schwester war eingeschlafen. Also ließ ich den Motor an und drehte die Heizung hoch, damit sie es warm hatte. Dann las ich in dem Buch, das mir Bill gegeben hatte: »Walden« von Henry David Thoreau. Es war das Lieblingsbuch der Freundin meines Bruders, von daher war ich schon sehr gespannt darauf.
Als die Sonne unterging, legte ich Bills Raucherbroschüre in das Buch und fuhr langsam nach Hause. Einige Straßen von unserem Haus entfernt hielt ich an, um meine Schwester zu wecken und Kissen und Decke im Kofferraum zu verstauen. Dann bogen wir in die Einfahrt. Und stiegen aus. Und gingen rein. Und hörten Mom und Dad von oben rufen:
»Wo habt ihr beide den ganzen Tag gesteckt?«
»Ja, wo? Das Essen ist fast fertig.«
Meine Schwester blickte mich an. Ich blickte sie an. Dann zuckte sie mit den Schultern, also begann ich
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