Das alte Haus am Meer
ist wunderschön.«
Alicia blies Rauchkringel in die Luft. Sie sah ihnen nach und lachte.
»Dale, Schätzchen, was erwartest du? Du gibst ihr eine Schmuckschachtel, und wenn sie sie aufmacht, findet sie statt eines Diamanten bloß einen geschliffenen Bergkristall.« Sie lachte erneut. »Du musst noch viel lernen, Dale, nicht wahr, Lisle?«
Lisle errötete bis zu den Haarwurzeln, doch bevor sie etwas sagen konnte, sprang Rafe für sie ein.
»Ziemlich primitiv, Schätzchen, was? Aber so sind die Frauen. Für einen Künstler, und damit meine ich Dale und mich, ist ein chinesischer Bergkristall hundert Diamanten wert. Davon abgesehen, sollte Lisle um alles in der Welt keine Diamanten tragen. Perlen natürlich. Smaragde, Saphire, ja, ich würde ihr Saphire schenken. Chrysoprase und einen sehr hellen Topas in ganz blassem Gold. Aber Diamanten, nie im Leben.«
Alicia blies einen weiteren Rauchring.
»Wenn Frauen nur Diamanten trügen, wenn sie ihnen stehen, dann würden die Juweliere am Hungertuch nagen. Sieh dir doch die alten Hexen an, wie sie bei jeder passenden Gelegenheit ihre Diamanten zur Schau stellen. Kennst du eine einzige, die sie nicht tragen würde, wann immer sie die Möglichkeit hätte?« Sie setzte sich aufrecht hin und streckte ihre Hand aus. »Zeig den Ersatz mal her.«
Rafe nahm Lisle den Kristall aus der Hand und gab ihn weiter.
»Raffiniert«, sagte er und betrachtete ihn in Alicias gebräunter Hand. »Als ob dich etwas aus dem Wasser heraus anblickt, nicht? Im Moment ist es da, und im nächsten fragst du dich, ob du es wirklich gesehen hast. Wo hast du das her, Dale?«
Dale beugte sich vor, um es anzusehen.
»Aus einem Second-Hand-Laden in der Fulham Road. Es lag auf einem Tablett zwischen anderen, meist wertlosen Sachen. Ich dachte, es würde Lisle gefallen.«
Er redete über sie, als wäre sie nicht anwesend. Sie fühlte sich so jung und unerfahren. Eigentlich sollte sie jetzt sagen:
»Ich finde es wunderschön«, aber es ging nicht. Vor dem verschlagenen Gesicht, das sie anlugte, bekam sie eine Gänsehaut.
Alicia balancierte den Kristall und blies Rauch darauf. »Schwer zu fassen, der kleine Teufel, was?«, meinte sie.
»Behalte es, wenn du willst«, sagte Dale. »Lisle gefällt es nicht.«
Alicia blickte ihn einen Augenblick fest an. Dann lachte sie und sah weg.
»Weißt du, mir ist es lieber, wenn man meine Geschenk für mich persönlich aussucht und nicht für eine andere. Und wenn du etwas aussuchst, ich habe nichts gegen Diamanten. He, Lisle, fang!«
Der Kristall glitzerte in der Luft. Rafe hob den Arm, fing ihn geschickt und legte ihn zurück in Lisles Schoß. Doch bevor sie danach greifen konnte, stand Dale auf und kam zu ihr herüber.
»Gefällt er dir?«
»Ich … Dale …«
»Ein bisschen unheimlich«, sagte Rafe.
Alicia lachte. Lisle, unglücklich und nach Worten ringend, streckte ihrem Mann die Hand entgegen.
»Dale, du hast es falsch verstanden. Es war sehr lieb von dir, mir das zu kaufen, bitte …«
Einen Augenblick lag eine ungemütliche Spannung in der Luft. Die Röte stieg in Dales Gesicht, wie immer, wenn er verärgert war. Doch bevor er oder ein anderer etwas sagen konnte, kam einer der Diener. Lisle sah ihn erleichtert an.
»Was gibt’s, William?«
»Wenn Sie so freundlich wären, Madam, Miss Cole ist da. Sie fragt, ob sie Sie einen Augenblick sprechen kann.«
Dale ging zurück zu seinem Stuhl.
»Miss Cole von der Post?«, fragte er.
»Ja, Sir.«
»Was sie wohl will. Geh lieber und sprich mit ihr, Lisle.«
Lisle stand auf und ging.
Sie fühlte sich zugleich in Ungnade gefallen und erleichtert, entwischen zu können, als sei sie sieben Jahre alt und nicht zweiundzwanzig. Den Kristall hatte sie in der Hand. Über den Rasen folgte ihr Alicias hohes, beschwingtes Lachen.
15
Das einzige Zimmer, das Lisle im Schloss wirklich mochte, war ihr eigenes Wohnzimmer. Es war klein, und die holzvertäfelten Wände waren irgendwann einmal weiß gestrichen worden. Jetzt waren sie zu einem Ton von altem Elfenbein nachgedunkelt. Die Vorhänge waren aus verblichenem grünen Brokat, und der alte chinesische Teppich hatte mit der Zeit die Farbe von grüngrauem Wasser angenommen. Alles in dem lang gestreckten Zimmer war alt: Der Sekretär aus verblichenem Mahagoni, ein hochlehniges Sofa, ein Bücherregal, ein kleines altmodisches Klavier, an dessen kunstvoll geschnitzter Vorderfront links ein Bass-Schlüssel und rechts ein Violinschlüssel prangte. Unterlegt war das durchbrochene Schnitzwerk mit
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