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Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wentworth
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fragte: »Ist sie sehr unglücklich?«
»Weint sich die Augen aus dem Kopf«, sagte Miss Cole,
diesmal kurz angebunden.
Lisle hob die Hand an die Wange. Aus der Geste sprach
Kummer.
»Aber würde sie nicht …? Ich will nicht …«
Miss Cole schüttelte mitfühlend den Kopf. Die Kirschen
klimperten.
»Sie hält so viel von Ihnen. Es gibt niemanden, auf den
sie mehr hören würde als auf Sie. Es war mir schrecklich
peinlich, dass sie sich bei Ihnen wegen Pell ausgeheult hat,
aber sie hat immer wieder gesagt, wie freundlich Sie
waren, und sie hat sich gemerkt, was Sie ihr gesagt haben,
und sie hat mir auch davon erzählt. Sie wissen schon, Mrs
Jerningham, wenn ein Mädchen für jemanden schwärmt,
dann hört sie auch zu. Bei anderen nicht. Und ich weiß,
dass Cissie so viel von Ihnen hält.«
Lisle stand auf. Wenn sie sich nicht bereit erklärte, mit
Cissie zu sprechen, dann würde Miss Cole nie aufhören zu
reden. Und es würde einfacher sein, mit Cissie zu
sprechen, als mit Miss Cole. Und sie würde Cissie ihre
grün karierte Jacke schenken. Das war eine hervorragende
Idee. Cissie würde sich freuen, und sie wäre die Jacke los.
Jedes Mal, wenn sie die Jacke in ihrem Schrank sah, hörte
sie Alicia sagen: »Diese schreckliche Jacke!« Aber Cissie
würde sie gefallen.
Schnell sagte sie: »Wenn Cissie heute Abend kommen
möchte, könnte ich mit ihr sprechen. Sagen Sie ihr, ich
habe etwas für sie.«
Miss Cole stand ebenfalls auf. Sie hob ihre braune
Handtasche auf, steckte ihr Taschentuch weg und
schüttelte Lisles Hand.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, wirklich«, sagte sie.
    16

    Als Miss Cole gegangen war, trat Lisle an die Glastür und blickte hinaus. Die Gruppe auf dem Rasen hatte sich zerstreut. Die Stühle waren leer. Sie standen jetzt im Schatten der Zeder. Wenn sie schon mit Dale über Pell sprechen musste, dann wollte sie es gleich hinter sich bringen. Wenn er vom Garten hereingekommen war, dann war er jetzt vielleicht im Arbeitszimmer. Niemand arbeitete je dort, aber es war aus Tradition und Gewohnheit Dales Zimmer. So war es mit allem in Tanfield. Lisles kleines Wohnzimmer gehörte nicht ihr, weil es ihr gefiel, sondern weil die Herrin von Tanfield schon immer dieses Zimmer hatte. Ihr großes düsteres Schlafzimmer gehörte ihr aus demselben Grund. Hätte sie sich ein anderes Zimmer gewünscht, es wäre sinnlos gewesen.
    Sie ging durch die benachbarte Waffenkammer zum Arbeitszimmer. Hinterher fragte sie sich, warum sie nicht direkt zur Tür des Arbeitszimmers gegangen war, dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Aber so sehr sie auch grübelte, sie fand keine Erklärung dafür, dass sie durch die Waffenkammer ging. Die Tür war angelehnt, vielleicht war das der Grund. Sie ging also hindurch zur Tür, die ins Arbeitszimmer führte und fand sie eine Hand breit offen. Sie öffnete sie etwas weiter und blickte hinein.
    Und da sah sie Dale. Er stand mit dem Rücken zu ihr und hielt Alicia Steyne in den Armen. Sie konnte Alicias Gesicht nicht sehen, nur ein Stück von ihrem weißen Rock und ihre Hände um Dales Hals, und Dales Kopf, der sich zu ihr hinabbeugte. Sie sah nicht mehr als nötig, drehte sich um und ging weg.
    Als sie in ihr Wohnzimmer kam, setzte sie sich auf das Sofa und versuchte, sich zu beruhigen. Ein Kuss bedeutet schließlich nicht viel. Manchen Männern bedeutet er gar nichts. Sie durfte nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen oder glauben, die Welt ginge unter, nur weil Dale seine Cousine küsste. Nein, sie würde sich nichts vormachen; das war kein rein verwandtschaftlicher Kuss. Aber sie hatte ihn verletzt. Er hatte ihr ein Geschenk gemacht. Es hatte ihr nicht gefallen, und das hatte sie in Gegenwart von Rafe und Alicia gezeigt. Wie leicht war es da für Alicia, die Lage auszunutzen, seine alten Gefühle für sie neu zu entfachen und aus einem Funken eine große Leidenschaft werden zu lassen. Wäre sie dabei gewesen, sie hätte sich über den Ablauf nicht sicherer sein können. Ihr Gerechtigkeitssinn war ausgeprägt, wie man ihn selten findet. Sie konnte sehr wohl zwischen Dales Schuld und ihrer eigenen unterscheiden. Nur nicht weinen, denn Alicia würde es sehen, und das durfte sie nicht, denn Alicia hasste sie. Aber Dale liebte sie. Dale hatte sie geheiratet, nicht Alicia. Dale liebte sie … Ihr Herz krampfte sich zusammen. Liebte er sie?
    Bevor sie Zeit hatte, sich das zu beantworten, kam Rafe vom Garten hereingeschlendert.
»So ganz allein, meine Hübsche? Da habe ich aber

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