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Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wentworth
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Kätzchen sich befreit und sprang mit erhobenem Schwanz und aufgestelltem Buckel davon. Die Mutter stand auf, reckte sich, ging hinüber zu Rafe und rieb sich schnurrend an ihm. Er beugte sich zu ihr hinunter und kraulte sie hinter dem Ohr.
    14

    Nach dem Mittagessen tranken sie gerade ihren Kaffee auf dem Rasen neben dem Schloss, als Dale die Hand in die Tasche steckte, ein kleines Päckchen herauszog und es Lisle in den Schoß warf. Sie blickte auf, überrascht und ein bisschen erschrocken.
    »Was ist das?«
    Entspannt und locker sah er von seinem bequemen Sessel aus zu ihr hinüber und lächelte.
»Mach es auf und sieh nach. Ich habe dir ein Geschenk
mitgebracht.«
Sie errötete. Warum gab er es ihr nicht, wenn sie allein
waren? Jetzt musste sie es vor Alicia öffnen. Nicht dass
Alicia sie oder sonst jemanden beachtet hätte. Sie saß mit
hochgelegten Füßen in einem Korbsessel und beobachtete
    den blassen Rauch ihrer Zigarette, der sich vor dem blauen Himmel auflöste. Es war ein perfekter Nachmittag, absolut ruhig und heiß, mit einem Dunstschleier über dem Meer, wie der Geist sämtlicher Zigaretten, die je geraucht worden waren. Auf der einen Seite begrenzten Tane Head und die angrenzenden Moore die Sicht. Auf der anderen Seite verbreitete eine Zeder angenehmen Schatten. Lisle saß im Halbschatten, ihre Haare wirkten dunkler und ihr grünes Kleid hatte ein gesprenkeltes Muster aus Licht und Schatten. Die anderen genossen die Sonne.
    »Wie die Salamander«, sagte Rafe. Er saß mit gekreuzten Beinen auf verschiedenen Kissen, den Rücken an Alicias Fußstütze gelehnt. »Je länger wir uns hier sonnen, umso besser geht es uns. Aber das Motto ist: ›Allzeit bereit.‹ Denn man weiß nie, was kommt. Ich persönlich rechne natürlich mit einer Harfe und einem Heiligenschein, aber ich habe ja auch ein absolut reines Gewissen im Vergleich zu Dale und Alicia. ›Meine Stärke reicht für zehn, denn mein Herz ist rein.‹ Ein nettes Zitat aus einem Gedicht des verstorbenen Lord Tennyson über den verstorbenen Galahad.«
    Der Knoten ihres Päckchens entglitt Lisles Fingern. Die seltsame kleine Frau aus dem Zug hatte auch Tennyson zitiert. Wenn Rafe doch nur aufhören würde. Miss Maud Silver, Private Ermittlungen … Es gab nichts zu ermitteln.
    Alicia schnippte die Asche von ihrer Zigarette und sagte liebenswürdig:
»Ziemlicher Säulenheiliger, was Rafe?«
»Kein Säulenheiliger, Schätzchen, die sind aus Gips, spröde und unzuverlässig. Ich bin aus purem Gold.«
Dale beobachtete seine Frau. Sie hatte sehr hübsche Hände – hübsch, weiß und zierlich, aber nicht sehr geschickt darin, einen Knoten aufzumachen. Aber jetzt war das Band ab und das steife Papier ebenfalls. Als Nächstes kam eine Schicht Seidenpapier und dann eine dünne mit einem Gummiband verschlossene Schmuckschachtel. Er lächelte sie ermutigend an.
»Na komm, mach es auf.«
Ein seltsamer Widerwille überkam Lisle. Dale machte ihr so selten Geschenke. Er war der äußerst vernünftigen Ansicht, dass sie mehr Geld hatte als er und sich alles, was sie wollte, selbst kaufen konnte. Dies war tatsächlich das erste Geschenk, das er ihr seit ihrer Hochzeit machte. Sie war gerührt, hätte es aber lieber aufgemacht, wenn sie beide allein waren. Sie errötete, als sie den Deckel hob und sah, was darunter lag – ein Bergkristall, der in eine groteske Form geschnitten war. Sie starrte ihn an, versuchte, herauszufinden, was es war … Eine gedrungene Figur mit einem Gesicht, halb Tier, halb Mensch, die zwischen Blättern hindurchsah; eine klauenartige Hand, die eine runde, glitzernde Frucht hielt.
Sie beugte sich vor. In der Sonne war der Kristall nur glänzend und leer. Er hatte keine Konturen, reflektierte nur die Sonne. Er blendete sie und sie zog ihn zurück in den Schatten. Sofort lugte das Gesicht wieder zwischen den Blättern hervor.
»Gefällt es dir nicht?«, fragte Dale ungeduldig.
Sie sah ihn verwundert an.
»Was ist das?«
»Ein chinesischer Bergkristall. Ich dachte, er würde dir gefallen.« Seine Stimme wurde hart. »Es tut mir Leid, wenn er dir nicht gefällt.«
Etwas in Lisle zitterte. Wie konnte sie nur so dumm sein? Sie hätte ihm sofort danken sollen. Wären sie allein gewesen, dann hätte sie ihm die Arme um den Hals werfen können. Warum musste er es ihr auch in Gegenwart von Rafe und Alicia geben? Sie sagte so schnell und so warm wie möglich:
»Oh, aber es gefällt mir. Ich habe nur nicht gleich gewusst, was es ist, das ist alles. Es

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