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Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wentworth
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unangenehm befremdet. Sie wollte das Thema
wechseln, aber es gelang ihr nicht. Miss Cole war mit der
Absicht gekommen, über Pell zu reden, und davon war sie
nicht abzubringen. Fast gegen ihren Willen, stellte Lisle
genau die Frage, die Miss Cole hören wollte.
»Hat er denn wieder eine Stelle?«
»Oben am Flugplatz«, sagte Miss Cole gewichtig. »Und
hängt jeden Abend im Grünen Mann ‘rum und erzählt, wie
viel er verdient und was für große Stücke sie da auf ihn
halten.« Sie tupfte sich die Schweißperlen von Stirn und
Kinn.
»Und wenn das alles wäre, dann wär’s mir ja egal und
ginge mich nichts an. Keiner kann behaupten, dass ich
mich in die Angelegenheiten von anderen Leute
einmische. Aber wie’s nun mal ist, geht’s mich was an,
wegen meiner Nichte, der armen Cissie. Waisenkind ohne
Vater und Mutter, die für sie gerade stehen. Und ich hab
auch nichts gegen meinen Bruder James, der hat
schließlich genug mit seiner eigenen Familie und dem
Geschäft, neun Kinder, und Ellen kann nicht haushalten.
Der hat genug am Hals. Wenn ich mich nicht um Cissie
kümmere, dann tut’s keiner, und sie kann nicht auf sich
selber aufpassen.«
»Behelligt Pell sie?«, fragte Lisle.
Miss Cole warf sich in die Brust.
»Wenn er sie bloß behelligen würde, wär’s mir ja noch
egal. Aber er lässt sie nicht in Ruhe, und jetzt ist es so,
dass sie nicht mehr in Ruhe gelassen werden will.« Lisle sagte: »Das tut mir Leid.«
»Ihr wird’s auch Leid tun, wenn es zu spät ist«, sagte
Miss Cole mit ruckendem Kopf. »Wie kann sie nur? So
ein braves Mädchen, die Cissie, von mir großgezogen! Ich
will ihr eins zugute halten. Wenn sie von Anfang an
gewusst hätte, dass er verheiratet ist, dann hätte sie ihn
nicht angeguckt. Aber das kam ja erst vor vierzehn Tagen
‘raus, wie Sie wissen. Und jetzt sitzt sie da und heult und
sagt, sie hat ihn so gern, dass sie nicht weiß, was sie
machen soll. Und da bin ich dann zu Mr Jerningham, und
wie nett der war, so mitfühlend, als wenn er der Vater von
dem Mädchen wär. ›Der wird gefeuert‹, hat er gesagt und
ist gleich losgegangen und hat es auch gemacht. Und jetzt
wollt ich fragen, ob Mr Jerningham vielleicht dafür sorgen
kann, dass er auch beim Flugplatz gefeuert wird, aber ich
wollte ihn nicht noch mal belästigen, wo er doch schon
einmal so nett war, und da dachte ich, vielleicht könnten
Sie ein Wort …«
Lisle wurde blass.
»Ich glaube nicht, dass ich das kann.«
Es wäre sinnlos. Dale würde es nicht tun. Er würde
sagen, das sei nicht seine Angelegenheit und Recht damit
haben.
»Wenn Sie nur ein Wort sagen würden«, wiederholte
Miss Cole mit klimpernden Kirschen. »Ich werd keinen
Moment Ruhe haben, solange Pell hier in der Gegend ist.
Ich will ja nicht sagen, dass Cissie ihn nicht wirklich mag,
aber sie hat auch Angst vor ihm. Zum Beispiel, wenn sie
sich mal nicht mit ihm treffen will, dann sagt er, sie soll
kommen, sonst passiert was, was ihr gar nicht gefällt, und
solange er hier in der Gegend ist, weiß kein Mensch, was
er noch alles anstellt. Wenn Sie also nur ein Wort sagen
würden …«
»Ich glaube, das geht nicht«, sagte Lisle mit sanfter, unglücklicher Stimme. »Es hat keinen Sinn, Miss Cole,
wirklich.«
Miss Cole warf ihr einen aufdringlich schmeichelnden
Blick zu.
»Sie brauchten es ja bloß mal zu erwähnen. Ich weiß
natürlich, wie die Herren sind; sie setzen sich was in den
Kopf, und dann hat es gar keinen Sinn weiterzureden, weil
sie sich dann nur ärgern, aber Mr Jerningham war immer
so nett, und vielleicht könnten Sie es einfach mal so
nebenbei erwähnen …«
»Ja, das kann ich, aber ich glaube nicht …«
»Man kann nie wissen«, sagte Miss Cole strahlend.
»Und ich will Sie jetzt auch nicht länger aufhalten, Mrs
Jerningham, aber wenn Sie vielleicht mal ein Wörtchen
mit Cissie reden könnten, die würde es sich sicher sehr zu
Herzen nehmen.«
»Oh …«, sagte Lisle, und dann, »meinen Sie?«, in
zweifelndem Ton. Sie fühlte sich nicht alt und weise
genug, um Cissie Cole einen Rat zu geben. Und was
konnte sie ihr auch sagen? »Du hast dein Herz an den
falschen Mann verloren. Hole es dir zurück. Sei nicht
mehr traurig, er ist es nicht wert. Schütze dich, solange es
noch etwas zu schützen gibt.« Das könnte sie sagen. Aber
würde Cissie auf sie hören und würde es ihr helfen, wenn
sie darauf hörte? Tief in ihrem Inneren flüsterte etwas:
»Das hättest du alles auch zu dir selbst sagen können.«
Der Gedanke durchfuhr sie wie ein Blitz. Sie

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