Das alte Haus am Meer
von Mrs Dale Jerningham erhob sich ebenfalls und schickte sich an, ihnen zu folgen.
Sie war schon auf dem Bahnsteig und einige Schritte gegangen, als sie eine Hand auf ihrem Arm spürte. Die kleine pummelige Frau, mit der sie im Zug gesprochen hatte, ging neben ihr. Sie hatte mit ihr geredet, konnte sich aber nicht mehr erinnern, was sie gesagt hatte. Und jetzt wollte sie nicht weiter mit ihr sprechen. Zerstreut blickte sie nach unten und sah, dass die Frau ihr eine Karte hinhielt. Sie nahm sie und steckte sie in ihre Handtasche. Die Stimme, die sie an sämtliche Erzieherinnen erinnerte, die sie je gehabt hatte, sagte freundlich und sehr bestimmt:
»Wenn Sie irgendwann einmal Hilfe brauchen, das ist mein Name und meine Adresse.«
Die Hand glitt von ihrem Arm. Ohne sich umzusehen ging sie weiter zum Ausgang und gab ihre Fahrkarte ab.
4
Die Sonne brannte auf die Tennisplätze von Tanfield. Es gab drei davon, zwei gepflegte Rasenplätze und einen grünen Hartplatz. Die Plätze waren von einer hohen Mischhecke aus Hainbuchen, Ilex und Dornensträuchern umgeben. Vom Schloss war außer den seitlichen Türmen nichts zu sehen.
Auf dem äußeren Rasenplatz beendete Alicia Steyne gerade ein spannendes Match mit Rafe Jerningham. Der Ball berührte das Netz und flog tief und gerade an Rafes Rückhand vorbei. Er rannte, sprang vergeblich nach vorne und landete auf dem Bauch. Alicia warf ihren Schläger in die Luft und rief mit ihrer hohen, hellen Stimme: »Satz und !«
Rafe stand auf und sah, wie sie ihn auslachte. Sie war klein und dünn wie ein Kind, mit dunklen, unordentlichen Locken und einem lebhaften, eigensinnigen Gesicht. Sie war rundherum braun; ihr Temperament ließ ihre Lippen und Wangen leuchten. Ihre Zähne waren strahlend weiß. Sie kam um das Netz herum, warf ihren Schläger in die Luft und lachte.
»Puh! Gegen dich gewinne ich noch allemal!« Sie spitzte die Lippen und warf ihm einen Kuss zu. »Und weißt du warum? Weil ich viel, viel besser spiele als du. Außerdem kriege ich keine Wutanfälle.«
Rafe lachte ebenfalls. Er war ebenso braun wie sie, mittelgroß, sehr schlank, sehr attraktiv auf eine etwas zigeunerhafte Art. Seine schwarzen Augenbrauen waren schmal mit einem seltsamen Knick. Die gebräunten, wohl geformten Ohren liefen leicht spitz zu, wie bei einem Faun. Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und Alicia Steyne war nicht zu verleugnen. Tatsächlich hatten sie dieselbe Großmutter und die gleichen sehr weißen Zähne, wie man sehen konnte, als er jetzt sagte:
»Ich kriege doch keine Wutanfälle.«
»Nie?«
»Nie.«
»Nicht einmal, wenn es keiner sieht? Die meisten
Männer können nicht gegen eine Frau verlieren.« »Nicht einmal dann.«
In plötzlicher Ungeduld warf sie ihren Schläger auf den
Boden.
»Ich jedenfalls bin entsetzlich jähzornig, und es ist mir
egal, wer es weiß! Aber beim Spielen kriege ich keine Wutanfälle, die hebe ich mir auf für Dinge, die es wert sind.«
»Was zum Beispiel?«
Alicias Gesicht verdüsterte sich. Leicht sarkastisch fuhr Rafe fort:
»Es muss immer alles nach deinem Kopf gehen,
stimmt’s? Andersherum verträgst du es schwer, auch beim
Spielen.«
Sie blitzte ihn an.
»Das stimmt überhaupt nicht.«
»Nicht? Bist du sicher?«
»Du weißt, dass es nicht stimmt.«
Er lachte leise.
»Na ja, meistens geht es ja auch nach deinem Kopf.« Ihr Lachen erlosch wie eine ausgeblasene Flamme. »Nicht immer.«
Abrupt wandte sie sich ab und hob ihren Schläger auf. Rafe beobachtete sie mit neugierigem, spöttischem Blick. Zwischen seinen dünnen, beweglichen Lippen zeigten sich wieder die blendend weißen Zähne. Es amüsierte ihn, dass Alicia, die schon als Baby immer ihren Kopf durchgesetzt hatte, nicht über seinen Cousin Dale hinwegkam. Sie hätte ihn haben können, als sie neunzehn und er zwanzig war, als sie beide kein Geld hatten, Sir Rowland Steyne jedoch sehr viel davon hatte. Sie hatte Dale ziehen lassen und Rowland geheiratet. Also, was beklagte sie sich nun? Es war ihre eigene Entscheidung gewesen und sie lag zehn Jahre zurück. Dale hatte dem Druck seiner und Lydias Familie nachgegeben und Lydia Burrows geheiratet. Als er schließlich Lydias Vermögen erbte, war Alicia Lady
Steyne. Rafe fand das recht amüsant.
Er fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn Rowland
einen oder zwei Monate früher mit seinem Wagen
verunglückt wäre. Als die Todesanzeige erschien, war
Dale bereits mit Lisle van Decken verlobt. Und sie waren
verheiratet, bevor es für
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