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Das alte Haus am Meer

Das alte Haus am Meer

Titel: Das alte Haus am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wentworth
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Wasser ankämpfend, das lange, ausgedehnte Riff hinauf. Hier war das Wasser nur knöcheltief. Er ging das Riff entlang, und als er sich küstenwärts wandte, hörte er Lisles Schrei.
Er war so schwach, und zu jedem anderen Zeitpunkt wäre er ungehört mit all den Millionen von Geräuschen, die niemand hört, verhallt, aber in diesem Moment, als alles in ihm aufs Äußerste angespannt war, erreichte er ihn. Sein Herz pochte gegen seine Rippen. Er ging dem Ruf nach, das Riff hinunter in tieferes Wasser und dann vorsichtig die Felsen vermeidend, weiter. Als das Wasser am tiefsten war, vernahm er den Schrei erneut. Und dann waren seine Füße auf Kies, und er ging den sanft ansteigenden Strand hinauf, auf die Klippen zu.
Sobald er aus dem Wasser war, rief er:
»Lisle, wo bist du?«
Die Worte hallten als gebrochenes Echo von den Felsen wider. Und dann etwas, das kein Echo war. Sein Name – »Rafe!«
Lisle hatte unentwegt weitergerufen. Etwas in ihr wollte nicht aufgeben, etwas, das sagte, wenn ich ertrinke, dann nicht, weil ich aufgegeben habe. Aufgeben, das hieß nicht einfach nur sterben. Es hieß, die Dunkelheit und die Einsamkeit und Dales Verrat zuzulassen. Wenn sie sterben musste, dann wollte sie die Dinge bis zum Schluss fern halten. Und solange sie rief, ließ sie sie nicht zu. Als sie Rafes Stimme hörte, kam ihr Mut zurück. Sie blickte nach oben und sah den Schein seiner Taschenlampe, weit oben wie den Blitz eines Sommergewitters. Aber es war kein Blitz, es war Licht.
Sie rief wieder: »Ich bin hier, hier, hier«, und fuhr fort, bis das Licht über den Rand des Abgrundes schien und sie ihn knien sah, wie er zu ihr hinabblickte. Plötzlich fiel der Strahl der Lampe in ihr nach oben gewandtes Gesicht. Weiß, durchnässt und halb ertrunken sah sie Rafe an. Aber ihre Augen lebten. Er sah, wie die Pupillen sich im Licht verengten und die Lider sich vor dem blendenden Licht schlossen.
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    »Lisle! Was ist passiert? Ist alles in Ordnung?« Sie sagte: »Ich bin gestürzt …«, und hörte seine Stimme mit einem gefährlichen Unterton.
»Er hat dich gestoßen!«
Ihre Hände klammerten sich so gut es ging an der Felswand fest. Sie legte ihr Gesicht darauf und spürte, wie kalt sie waren.
Einen Augenblick war es still, und dann rief er scharf:
»Los, versuch, meine Hände zu fassen! Streck dich nach oben, so weit es geht!«
Der Schein der Lampe war verschwunden. Sie konnte nur etwas Dunkles erkennen, das sein Kopf war. Er lag auf dem flachen Felsblock, von dem Dale sie herabgestoßen hatte, streckte seine Arme zu ihr hinab, während sie nach oben griff. Sie stand auf Zehenspitzen und streckte sich ihm entgegen, aber ihre Hände berührten sich nicht. Sie hörte, wie er sich rückwärts bewegte. Das Licht kam wieder.
»Kommst du nicht höher hinauf?«
»Nein, ich stehe auf dem höchsten Punkt. Der Boden fällt hier steil ab. Da ist ein tiefes Loch. Ich habe mich nicht weiter getraut.«
Der Schein der Taschenlampe bewegte sich hin und her und fiel auf eine breite Spalte zwischen dem flachen Felsblock und einer Felswand, die ins Hauptriff überging. Er schaltete das Licht aus und steckte die Lampe in seine Hosentasche. Ihr Licht und die Stärke der Batterie waren so ziemlich alles, was zwischen ihnen und dem Tod stand. Sie durften nicht vergeudet werden. Er sagte:
»Ich komme nicht an dich heran. Da ist eine Spalte im Fels, deshalb ist auch das Wasser so weit unten. Der Pool fließt ab, wenn die Ebbe kommt. Du musst dir keine Sorgen machen, wir müssen nur warten, bis die Flut weiter steigt, das ist alles.«
»Bis die Flut weiter steigt?« Ihre Stimme war kaum noch hörbar vor Entsetzen. Das war mehr, als sie ertragen konnte. Warten, bis die Flut stieg und sie ertranken?
»Was ist los? Begreifst du nicht? Das Wasser wird dich nach oben tragen. Auch wenn ich deine Hände zu fassen kriegen würde, könnte ich dich wahrscheinlich nicht herausziehen. Ich kann mich hier nirgends festhalten, und dieser Fels ist fürchterlich rutschig. Aber wir müssen einfach nur warten, dann hilft uns die Flut. Pass auf, ich lasse meinen Gürtel zu dir runter. Pack ihn an der Schnalle. Daran kannst du dich halten, und sobald das Wasser hoch genug ist, hole ich dich raus.«
»Dauert das noch lange?«
»Etwa zwanzig Minuten, denke ich, vielleicht eine halbe Stunde. Wenn das Wasser erst mal über das Riff rüber ist, steigt es ziemlich schnell. Und wir sind hier nicht viel höher. Deshalb kann ich auch nicht weggehen und Hilfe holen. Evans ist

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