Das alte Kind
wollen, wenden Sie sich bitte an Frau Ella Martinek, z. Hd. Carla Arnim, Akazienstr. 25, 1000 Berlin 62.
Bereits jetzt danke ich Ihnen schon für Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung.
Mit den besten Grüßen und Wünschen,
IhreCarla Arnim
Zug, Schweiz, 17.4.1980
Liebe Mrs Keller,
sicher wissen Sie noch, wer ich bin. Mein Mann und ich wohnen nur wenige Häuser von Ihnen entfernt, aber wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Vor ungefähr zwei Jahren begegneten wir uns häufig, wenn ich mit Felicitas im Kinderwagen spazierenging. Ihre Tochter, ich glaube, sie heißt Lucy, ist so alt wie Felicitas.
Ich weiß nicht, wie intensiv Sie die deutschen Zeitungen verfolgen, aber vielleicht wissen Sie ja, daß Felicitas spurlos verschwunden ist. Statt dessen wurde mir ein anderes Kind untergeschoben. Da mir keiner glaubt, zwingt man mich seit anderthalb Jahren (da verschwand Felicitas), dieses fremde Kind als mein eigenes aufzuziehen. Das ist schlimm genug, doch dieses fremde Kind ist mittlerweile sehr schwer, ja unheilbar erkrankt. Es wird das Erwachsenenalter nicht erreichen. Daher sehe ich mich genötigt, mich auf die Suche nach der echten Mutter zu machen – die mich hoffentlich zu Felicitas führt.
Mrs Keller, ich erinnere mich sehr gut, wie Sie sich meine Felicitas immer wieder ganz genau angesehen haben, wenn wir uns begegneten. Einmal sagten Sie sogar: »Ihre Tochter wächst ja viel schneller als meine!« Ich lege Ihnen ein Foto des fremden Kindes bei. Sehen Sie es sich bitte ganz genau an, und sagen Sie mir, daß das nicht meine Tochter ist. Vielleicht erkennen Sie ja sogar noch etwas mehr auf dem Foto.
Ich appelliere an Ihr Gewissen als Mutter. Glauben Sie nicht, daß es dieses kranke Kind verdient hat, seine echte, leibliche Mutter zu kennen? Nur die echte Mutter kann doch ihr Kind so lieben, wie es ein Kind verdient hat, geliebt zu werden. Bitte, Mrs Keller, denken Sie in Ruhe darüber nach.
Ich nenne Ihnen nun eine Adresse, über die Sie mit mir in Verbindung treten können. Schicken Sie Post bitte an Frau Ella Martinek, z. Hd. Carla Arnim, Akazienstr. 25, 1000 Berlin 62.
Mit den besten Grüßen und Wünschen,
Ihre
Carla Arnim
11.
Mòrag schlich unruhig in ihrem Zimmer auf und ab. Diese Frau blieb offenbar noch den ganzen Abend. Kein einziges Mal waren sie bis jetzt aus Fionas Zimmer rausgekommen. Sie hatten nur dort drinnen gehockt und die Musik gerade so laut gehabt, dass Mòrag nicht lauschen konnte. Wenn Fiona wüsste, was Mòrag längst wusste.
Gegen sieben Uhr machte sich Mòrag eine Kanne Tee. Sie klopfte an Fionas Tür, fragte, ob sie auch Tee wollte, bekam aber keine Antwort. Vielleicht war die Musik zu laut, und sie hatte sie nicht gehört. Vielleicht wollte sie auch einfach nicht antworten. Mòrag kochte vor Wut, mal wieder.
Eine halbe Stunde später war sie so unruhig, dass sie nicht anders konnte. Sie musste diese Nummer einfach anrufen. Sicher würde niemand das Gespräch annehmen, nicht am Sonntagabend. Aber vielleicht würde ihr ein Anrufbeantworter verraten, um was für einen Termin es sich handelte, den Fiona da ausmachen sollte.
Sie wählte die Nummer. Es klingelte nur sehr kurz, dann meldete sich eine Frauenstimme in verständnisvollem Singsang. »Büro von Dr. Lloyd, was kann ich für Sie tun?«
Mòrag musste sich erst fangen. »Oh, es ist jemand da?«
»Wir sind rund um die Uhr für Sie da«, sagte die Frau und hörte sich an wie eine Kindergärtnerin. Und Mòrag war immer noch keinen Schritt weiter.
»Ich…wollte einen Termin ausmachen.«
»Kommen Sie auf Empfehlung?«
Sie würde einfach Ja sagen. Aber wie hieß diese Frau? Patricia? Und mit Nachnamen? Wohl kaum Hayward. Vielleicht reichte ein Vorname. »Meine Tante Patricia hat mir…« Sie hustete, um Zeit zu gewinnen. »Sie hat mir Ihre Nummer gegeben, ich soll einen Termin machen.« Vorsichtshalber schützte sie noch einen Hustenanfall vor.
»Sagen Sie mir Ihren Namen, bitte?«
»Mein Name ist Fiona Hayward.«
»Ach, Dr. Garner ist Ihre Tante? Ja, sie hat schon mit Dr. Lloyd gesprochen, ob er sich für Sie Zeit nehmen könnte.«
Sie versprach, sich zu melden, sobald sie mit Dr. Lloyd Terminvorschläge ausgearbeitet hätte. Ausgearbeitet! Mòrag fasste es nicht. Sie konnte diese Verständnistussi aber schlecht fragen, was für eine Art Doktor ihr Chef war. Also gab sie ihr ihre Handynummer – nicht, dass Fiona ans Festnetz ging, wenn sie zurückrief – und googelte sofort los, nachdem sie
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